Uraufführung des Lindauer Komponisten / Solist Nikita Gerkusov aus den eigenen Reihen
Das Stück „Wie viel Heimat braucht der Mensch?“ des Lindauers Nikolaus Brass und das Solodebüt des SOV-Stimmführers Nikita Gerkusov: Das vierte Abo-Konzert am 10./11. Februar bietet Kulturfreunden unterschiedlichste Anknüpfungspunkte. Auf dem Programm stehen zudem Werke von Nino Rota und Hector Berlioz. Am Pult steht Jonathan Brandani.
Der Dirigent Brandani, seit 2021 künstlerischer Leiter der Calgary Opera, ist ein in Bregenz gern gesehener Gast. Vor zwei Jahren dirigierte er anlässlich der Festspiele zwei Produktionen mit dem SOV: „Die Italienerin in Algier“ und „Armida“. Der Italiener musizierte auch beispielsweise mit den Wiener Symphonikern, im Königlichen Opernhaus Kopenhagen und beim Wexford Festival in Irland. Als roten Faden der Abende in Feldkirch (10. Februar) und Bregenz (11. Februar) sieht der Opern-Experte Brandani die Theatralik der Werke.
Los geht es mit der spritzigen Ouvertüre zur Oper „Il cappello di paglia di Firenze“ – übersetzt „Der Florentiner Hut“ – von Nino Rota. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam er mit seiner Musik zu Filmen wie „La Strada – das Lied der Straße“, „Der Leopard“ oder „Der Pate“ zu Weltruhm. Für die beste Originalpartitur zum zweiten Teil des „Paten“ erhielt er im Jahr 1975 den Oscar.
International anerkannter Künstler vom Bodensee
Die thematische Brücke zum zweiten Teil des Konzertabends ist die Suche nach der Heimat. Die Tonlage wird ernster. „Wie viel Heimat braucht der Mensch?“, fragt Nikolaus Brass in seinem Stück, das als Auftragsarbeit des SOV im Jahr 2019 beim texte & töne festival in Dornbirn erstmals zu hören gewesen war – und das sehr erfolgreich. Der Komponist aus Lindau hat das Werk zu einer größeren Orchesterfassung umgearbeitet, die im vierten Abo-Konzert zur Uraufführung gelangt.
Amérys literarische Verarbeitung seiner Flucht vor den Nazis
Die Grundlage der Komposition ist Jean Amérys Essay „Wie viel Heimat braucht der Mensch?“. Améry (1912 – 1978) war ein österreichischer Schriftsteller im Widerstand gegen die Nazis. Sein Geburtsname lautete Hans Mayer, er schrieb unter Pseudonym. Seine familiären Wurzeln lagen in Hohenems. Améry überlebte Flucht und KZ. Nikolaus Brass, 2009 mit dem Musikpreis der Landeshauptstadt München ausgezeichnet, sagte in einem Interview mit Ingrid Lughofer: „Exil und Heimat, diese Themen haben mich gepackt … er beschreibt unglaublich präzise, was beim Verlust der Identität passiert. Man verschwindet als ein Ich.“
Dazu betonte Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, Literaturwissenschaftler und Publizist, in einem anderen Gespräch mit Nikolaus Brass: „Was an dem Text heute aktuell ist, ist tatsächlich sein Diskurs darüber, was es bedeutet, heimatlos zu sein und in dieser radikalen Weise Zugehörigkeit weggenommen zu bekommen. Ich glaube, das ist etwas, das heute aktueller ist denn je, weil es eine Erfahrung ist, die Millionen von Menschen heute machen.“
Musik und Text
„Im Vergleich zur ersten Fassung spiele ich mit mehr Volumen, mehr Wucht und mehr Klangfarben“, erläutert Brass seine musikalische Umsetzung. Ein wichtiger Teil des Stücks ist David Kopp als Sprecher des Texts. Er war zwischen 2016 und 2023 Ensemblemitglied am Vorarlberger Landestheater, wo er seither immer wieder gastiert.
Viola-Stimmführer Gerkusov mit Solo-Auftritt
Nach der Pause erklingt „Harold en Italie op. 16“ des Franzosen Hector Berlioz (1803 – 1869). Zugrunde liegen dem Werk zwei Inspirationen: Zum einen hatte der Künstler den sogenannten Rom-Preis des Pariser Konservatoriums gewonnen und durfte 15 Monate in der römischen Villa Medici verbringen. Zum anderen dachte er an die Hauptfigur aus Lord Byrons Versepos „Ritter Harolds Pilgerfahrt“.
Berlioz schickt gewissermaßen eine Solobratsche auf Reisen. Diesen Part übernimmt Nikita Gerkusov, der seine zweite Saison im Symphonieorchester Vorarlberg spielt. Seit 2023/24 ist er fixer Bestandteil des SOV als Stimmführer der Bratschen. Geboren wurde Gerkusov 1992 in St. Petersburg. Er ist mehrfacher Preisträger internationaler Wettbewerbe, beispielsweise des Internationalen Johannes-Brahms-Wettbewerbs in Pörtschach am Wörthersee.
Details, unter anderem in Form eines Interviews mit Dirigent Jonathan Brandani, liefert die neue Folge des Podcasts „SOV zum Reinhören“ auf www.sov.at und gängigen Streamingdiensten. Auf www.sov.at steht das angesprochene sehenswerte Video-Interview mit Nikolaus Brass und Hanno Loewy.
Symphonieorchester Vorarlberg
4. Abo-Konzert 2023/24
- Jonathan Brandani: Dirigent
Nikita Gerkusov: Viola
David Kopp: Sprecher - Samstag, 10. Februar 2024, 19.30 Uhr, Montforthaus Feldkirch
Sonntag, 11. Februar 2024, 17.00 Uhr, Festspielhaus Bregenz - Programm:
Nino Rota: Ouvertüre zur Oper „Il cappello di paglia di Firenze“
Nikolaus Brass: Wie viel Heimat braucht der Mensch?
Hector Berlioz: Harold en Italie op. 16