Der ehemalige Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Hubertus Mynarek, hat die prekäre Situation, in der sich die Kirche heute befindet, detailliert geschildert.[1] Viel gravierender als die steigende Zahl von Kirchenaustritten ist die innere Emigration der aus Anpassung, Desinteresse, Feigheit oder Opportunismus in der Kirche verbliebenen Mitglieder. Wenigstens zwei Drittel haben keinen Bezug zur Glaubenslehre. Trotzdem lassen diese Formalkatholiken ihre Kinder taufen und schicken ihren Nachwuchs in den Religionsunterricht mit der für gesellschaftlich angepasste Opportunisten typischen Begründung, man könne Kinder nicht der Gemeinschaft, in der sie leben, entfremden, Kinder möchten am religiösen Firlefanz teilnehmen, man könne ihnen diesen Hokuspokus nicht ausreden usw.
Von Adi Untermarzoner
Scheinheiliges Ländle – Fragwürdiges an BAfEP
Bedenkenlos und staatlich finanziert nützt die Kirche diesen prinzipienlosen ideologischen Konformismus aus. So werden im scheinheiligen Ländle Kindergartenpädagogen im Institut St. Josef (BAfEP) ausgebildet. Die Lehrkräfte werden üblicherweise vom Staat bezahlt. In diesem kirchlichen Gebäude sind die zukünftigen Pädagogen täglich mit einer überlebensgroßen, kitschigen Josefs-Statue mit Jesuskind und Lilien, dem Symbol von Keuschheit bzw. Reinheit, konfrontiert. Das ist jedenfalls ein einigermaßen fragwürdiger Beitrag zur ästhetischen Bildung zukünftiger Pädagogen. Zudem ist diese unsägliche Theologie über den angeblich jungfräulichen Nährvater Josef, „Pater Virgo“ genannt, höchstens noch beim Opus Dei und anderen katholischen sektiererischen Gruppen aktuell.
Wieviel Einfluss primär die katholische Kirche in unserem Staat hat zeigt sich im Lehrplan des Kollegs für Kindergartenpädagogik (BGBl. II, 17. 7. 2007). Unter Punkt IV. „Schulautonome Lehrplanbestimmungen“ findet man bei „Besondere Bestimmungen“: „Der Pflichtgegenstand ‚Religion‘ ist von der schulautonomen Gestaltung ausgenommen.“ In der BAKIP (heute BAfEP) sind religionsfreie Schülerinnen und Schüler sogar verpflichtet, am Religionsunterricht teilzunehmen. Das wird damit begründet, dass kirchliche Feste zur abendländischen Kultur gehören und diese hätten auch ungläubige Pädagogen bereits im Vorschulalter den intellektuell wehrlosen Kindern zu vermitteln.
Seit Beginn der Aufklärung wird solche Vermittlung fundamentaler christlicher Ideologie nicht mehr Pädagogik genannt, sondern Indoktrination.
Es stellt sich die Frage, ob Indoktrination im vorrationalen Alter für die Absolventen des Instituts überhaupt ein Thema ist und bei ihrer Ausbildung behandelt wurde. Man erzählt Kindern oft schon im Kindergarten, spätestens ab der ersten Klasse, den naiven Mythos der biblischen Schöpfungsgeschichte. Die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie werden ihnen dabei vorenthalten. Erst Jahre später, in höheren Schulstufen, werden Schülerinnen und Schüler mit dem Thema „Evolution“ konfrontiert, bis dahin haben sich aber kreationistische Vorstellungen in deren Köpfen längst verankert. Ist es nicht unsinnig, Kindern eine primitiv märchenhafte Schöpfungslehre zu vermitteln, anstatt das, was wir mehr oder weniger über Evolution wissen?
Das eigentliche Problem liegt aber nicht nur bei diesen Lehrkräften, sondern an der in Österreich und mehreren Staaten Europas in der Entwicklung stecken gebliebenen Trennung von Religion und Staat.
Sowohl von kirchlicher als auch von politischer Führung wird dauernd völlig zu Unrecht behauptet, in Österreich gebe es eine Trennung von Staat und Religion (siehe Artikel 24, 29 und 44 auf www.kulturzeitschrift.at/download).
Diese unredlichen, eindeutig falschen Behauptungen und die im Staat entsprechend herrschenden bigotten Verhältnisse haben pädagogisch verheerende Folgen. Sigmund Freud wunderte sich über den „betrübenden Kontrast zwischen der strahlenden Intelligenz eines gesunden Kindes und der Denkschwäche des durchschnittlichen Erwachsenen“. Einen der Hauptgründe für diese „relative Verkümmerung“ sah er in der „religiösen Erziehung“. Freud kritisierte, dass man die Kinder schon zu einem Zeitpunkt mit religiösen Lehren konfrontiere, an dem sie die Tragweite dieser Lehren noch nicht begreifen können. Konsequenz der frühen Indoktrination: „Wenn dann das Denken des Kindes erwacht, sind die religiösen Lehren bereits unangreifbar geworden.“ Ebendies führt nach Freud zu einer nachhaltigen Reduktion des Denkvermögens: „Wer sich einmal dazu gebracht hat, alle Absurditäten, die religiöse Lehren ihm zutragen, ohne Kritik hinzunehmen, dessen Denkschwäche braucht uns nicht zu verwundern.“ Deshalb forderte der Vater der Psychoanalyse, die traditionelle Erziehung zu Illusion und Denkschwäche durch eine „Erziehung zur Realität“ zu ersetzen. Dies sei zwar ein utopisches Ziel, doch irgendwann, da war sich Freud sicher, werde sich die „leise Stimme der Vernunft“ durchsetzen: „Der Primat des Intellekts liegt gewiss in weiter, aber wahrscheinlich doch nicht in unendlicher Ferne.“
Fehlende Erziehung zur Realität
Seit Freuds Niederschrift dieser Gedanken sind mehr als 90 Jahre vergangen – und doch könnte man es heute nicht treffender formulieren: Denn von einer „Erziehung zur Realität“ sind wir noch immer meilenweit entfernt. Noch immer beeinträchtigen religiöse Absurditäten das Denkvermögen, noch immer werden Kinder im frühesten Alter schon mit den grotesken religiösen Irrealitäten verbildet.[2] Bereits 100 Jahre vorher hat auch Arthur Schopenhauer das selbe Problem angesprochen: „Wenn die Welt erst ehrlich genug geworden ist, vor dem 15. Lebensjahr keinen Religionsunterricht zu erteilen, dann wird von ihr etwas zu erhoffen sein.“
Die Evolutionsbiologie weist nach, dass die Fähigkeit des Menschen zu genauer Imitation die Wurzel aller menschlichen Kulturleistungen ist, allerdings ist sie auch die Wurzel aller menschlichen Dummheit. Weil der Mensch darauf programmiert ist, alles zu imitieren, was er in seiner Kultur vorfindet – selbst den größten Schwachsinn.
Religiöse Indoktrination im Kleinkindalter
Die religiöse Indoktrination im Kleinkindalter wird zwar inzwischen immer weniger von den Eltern betrieben, aber in Kindergarten und Schule werden sie damit immer noch konfrontiert.
Es ist Sigmund Freud beizupflichten, wenn er als unverantwortlich bezeichnet, wehrlose Kinder schon in Kindergarten und Grundschulen mit religiösen Utopien zu infizieren.
Muss man sich nicht wundern, dass die meisten Menschen keine funktionstüchtige intellektuelle Immunabwehr aufbauen können, wenn sie schon mit sechs Jahren eine solche Dosis manipulierender Schadstoffe aufnehmen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es viele im ganzen Leben nicht schaffen, ihre Religionsgemeinschaft zu verlassen, obwohl sie weder glauben noch praktizieren. Diese weltanschauliche Manipulation der Kinder ist in Österreich auch noch im Zielparagraphen des SchOG §2 (1) festgelegt: „Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe entsprechenden Unterricht mitzuwirken …“ In dieser phrasenhaften Formulierung werden religiöse Werte auf das Niveau mit sittlich, sozial, mit Wahrheit, Güte und Schönheit gestellt. Die Autoren des SchOG§2 haben diese Werte sicher nach intensivem Studium von Bibel und Koran gefunden.
Sowohl Koran als auch Bibel strotzen vor Widersprüchen, vor Inhumanität, Brutalität usw.
Paradoxerweise ist im SchOG §2 von den wesentlichen Werten einer aufgeklärten, demokratischen Gesellschaft wie Rationalität und Wissenschaft nicht die Rede, aber davon ist in den heiligen Offenbarungen auch nichts zu finden.
Schizophren und total undemokratisch ist, dass in der aus primär Pseudochristen bestehenden Gesellschaft die Vermittlung dieser religiösen Werte staatlich finanziert wird.
In der Arbeit von Frerk und Baumgartner ist das detailliert aufgezeigt. Hier daraus ein Beispiel zum Thema Religionsunterricht: „Die Religionslehrer an den staatlichen Schulen (und die Unterrichtsmaterialien) werden zur Gänze staatlich finanziert, jedoch ohne dass der Staat ein Mitspracherecht hätte. Als Kostenaufwand werden mindestens 267 Millionen Euro geschätzt. Der christliche Religionsunterricht hat daran einen Anteil von etwa 94 Prozent oder rund 250 Millionen Euro.“[3]
Wie unser Staat, in dem ein Drittel ohne Glaubensbekenntnis ist und nur mehr eine Minderheit die fundamentalen Glaubenslehren kennt, zur Verbildung der Jugend Steuermillionen verschleudert, ist skandalös.
Zirka ein Drittel der Österreicher ist konfessionslos und von den 52,3 % Katholiken sind 90 % reine Karteileichen, trotzdem werden ihre Kinder in Kindergarten und Schule immer noch permanent mit naiven, irrealen, widersprüchlichen, religiösen Absurditäten manipuliert und oft lebenslänglich geprägt.
Wie enttäuscht wäre Freud heute?
Er hoffte nämlich, die leise Stimme der Vernunft würde sich durchsetzen. Seine Hoffnung hat sich zwar mental bei der Mehrheit der Österreicher erfüllt, nicht aber in den staatlichen Normen. So gilt bei uns weiterhin das Schulunterrichtsgesetz von 1949, als noch 89 % katholisch waren und ein Großteil davon noch praktizierte. Die Anzahl der innerlich Emigrierten, die sich auf die Stimme der Vernunft und nicht auf angeblich geoffenbarte, absolute Wahrheiten verlässt, nimmt permanent zu.
Trotz der vielen Kirchenaustritte und des Aussterbens des Klerus vegetiert die Kirche als offizielle Institution wie vor 60 Jahren weiter.
1960 gab es in der Diözese Innsbruck – damals gehörte auch Vorarlberg dazu – noch 100 Seminaristen, sogenannte Alumnen. Im Studienjahr 2021/22 sind im Innsbrucker Priesterseminar, wo nun auch die Studenten der Diözese Linz untergebracht sind, noch neun Seminaristen, fünf von der Diözese Innsbruck, drei von der Diözese Feldkirch und einer von der Erzdiözese Wien.[4] Obwohl der überwiegende Teil der Österreicher sich von Religion mental abgewendet hat und zum Säkularismus tendiert, wurde die staatliche Gesetzgebung den neuen, völlig veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen nicht angepasst. Religiöse Erziehung wird in sämtlichen Unterrichtsgesetzen wie eh und je gefordert.
Im „Vorarlberger Kindergartenbildungs- und Erziehungsplan“ (LGBL. Nr. 53/2008) werden unter „Religiöse Erziehung“ drei Ziele angegeben: „Grundlagen der Religion, Achtung vor Natur und Lebewesen, Respekt gegenüber anderen Religionen.“
Die wesentlichen Grundlagen der Religion, wie Kreationismus, Weihnachtslegende, Kreuzestod, Auferstehung von Toten usw. werden aber ebenso im Land Kindern bedenkenlos eingetrichtert. Man stelle sich vor wie ein sensibles, intelligentes Kind darauf reagieren muss, wenn es hört, dass der „liebe Gott“ mit bewusstem Vorsatz nahezu alle Menschen und Tiere im Zuge der Sintflut ertrinken und seinen eigenen Sohn für unsere Sünden blutig am Kreuze hinrichten ließ.
Wie soll ein sensibles Kind mit der Information umgehen, dass seine Eltern den Leib dieses erbärmlich Abgeschlachteten in der Sonntagsmesse verspeisen, um sich auf diese Weise mit ihm zu vereinigen?
Die Indoktrination solch stupider, inhumaner, grausamer Inhalte verursacht zudem eine Schädigung des individuellen Denkvermögens. Selbst Kinder, die von ihren Eltern vom Religionsunterricht abgemeldet sind, werden wiederholt mit solch religiösen, inhumanen Perversionen und dem entsprechenden kitschigen Brauchtum, dessen Inhalt historisch völlig unhaltbar ist, konfrontiert.
Beispielsweise erschien am Aschermittwoch in einer Frastanzer Volksschule ein Kleriker und streute den Kindern – auch islamischen – Asche aufs Haupt. Nur ein Kind weigerte sich, sich die Haare verschmutzen zu lassen. Soviel Durchblick und Selbstbewusstsein lässt auf sehr hohes Erziehungsniveau des Kindes schließen, das leider nur bei einer Minderheit zu erwarten ist.
In einem demokratischen Staat gehört die ethische und oft auch ästhetische Verbildung durch Religionsunterricht abgeschafft und sowohl in Ober- und Unterstufe durch verpflichtenden Ethikunterricht ersetzt. Die Lehre von der Entstehung und die Ideologie der vielen Religionen und Sekten gehört in den Geschichtsunterricht. Bereits Kindern wird beim Kennenlernen der Unsinnigkeiten der verschiedenen religiösen Idiotien bewusst werden, dass die eigene Religion sich von den anderen hinsichtlich des unhaltbaren ideologischen Nonsens kaum unterscheidet und ebenso fragwürdig und daher abzulehnen ist.
Quellen:
[1] Hubertus Mynarek, Warum auch Hans Küng die Kirche nicht retten kann, Tektum Verlag 2012
[2] Vgl. Michael Schmidt-Salomon, Keine Macht den Doofen, Verlag Piper 2012, S. 90-91
[3] Carsten Frerk, Christoph Baumgarten, Cernin Verlag 2012, S.126
[4] Seminarzeitschrift, Der Auftrag, 2022