Die bedeutende Vorarlberger Tageszeitung titelte vor wenigen Tagen „Viele Vorarlbergerinnen und Vorarlberger wünschen sich EU-Austritt“. Umfragen zufolge sollen es fast dreißig Prozent der Erwachsenen sein, die tatsächlich – gegen alle Evidenz – der Meinung sind, es ginge der Bevölkerung unseres Kleinstaates außerhalb der Europäischen Union, auf eigene Faust, besser.
Von Dr. Albert Wittwer
Am Vorbild Großbritannien, das bekanntlich ausgetreten ist, kann es nicht liegen: Der Brexit hat seit dem Jahr 2021 zu signifikant höheren Kosten für Verwaltung, Logistik, Zölle, Finanzierung und IT-Anpassungen bei gleichzeitig gesunkenen Umsatzerlösen geführt. Das Gesundheitswesen, das Transportgewerbe, die Gastronomie und die Landwirtschaft zählen ebenfalls zu den Brexit-Geschädigten. Sie klagen, dass ihnen aufgrund der verschärften Einwanderungsregeln Arbeitskräfte aus Süd- und Osteuropa fehlen. Haushalte sind ärmer geworden, die Investitionen stagnieren und die Handelsbarrieren zum größten Absatzmarkt, der EU, haben den Warenverkehr um geschätzte 10 bis 15 Prozent einbrechen lassen. Seit 2017, dem ersten Jahr nach dem Brexit-Referendum, sinkt die Bedeutung des Königreichs als Handelspartner für Europa kontinuierlich.
Das Bruttosozialprodukt, die Summe der im Staat erzeugten Güter und Dienstleistungen, schwächelt. Die Löhne und Gehälter stagnieren. Das Wasser der Themse ist so giftig, daß die Siegermannschaft des Wettruderns Oxford-Cambridge nicht schwimmen darf. Die Ambulanzen, wenn gerufen, kommen mit mehrstündiger Verspätung.
Derzeit ist eine klare Mehrheit der Bevölkerung für den Wiedereintritt. Der scheitert an den spätmonarchistischen Sitten und Gebräuchen: Es gehe nicht an, eine Volksabstimmung, mag das Ergebnis auch knapp gewesen sein, durch eine neue zu korrigieren. Nein bleibt Nein!
Eigentlich wollen alle, außer der Schweiz, in die EU. Es ist sinnlos und unzutreffend, sich an der Eidgenossenschaft zu orientieren. Das wäre eine eigene Analyse, von den Konzernsitzen bis zur weltweiten Vermögensverwaltung der Schweizer Banken, wert. Die Schweiz hat aber bei der Kommission der EU angefragt, Verhandlungen über einen neuen Rahmenvertrag, der einem Beitritt ohne Mitspracherecht in der Organen ähnelt aufzunehmen. „Ein bisschen schwanger?“ Hauptsache, „kei fröndi Richter!“
Zurück ins Hoamatle. Ich vermute, der Vorsitzende der wieder nach den Umfragen vermeintlich bedeutendsten Oppositionspartei, der aktuell eine ähnliche Quote wie dreißig Prozent zugeschrieben wird, hat die Motive der EU-Flüchter erforscht und sich aus taktischen Erwägungen zu eigen gemacht. Aber die Soziologen empfehlen, Falschmeldungen und Irrtümer nicht zu wiederholen, weil sie dann bloß verfestigt werden. Allerdings scheue ich kein persönliches Gespräch, keinen offenen Diskurs. Der ist auch in den Parlamenten Wesenskern der Demokratie.
Er ist den Anhängern der gelenkten populistischen Demokratie, der Vorstufe zur Diktatur, obsolet. Sie sind von den langwierigen Verhandlungen in den Parlamenten, Kommissionen, Räten schwer verunsichert. Der letzte in Österreich und Deutschland regierende Diktator hat diese Gremien auch als „Quatschbuden“ bezeichnet.
Der Göttervater Zeus wußte, was er tat, als er in Gestalt eines potenten Stieres die anmutige, später fruchtbare Europa entführte. Beteiligen wir uns an ihr, halten sie in Ehren, nehmen an den EU-Parlamentswahlen teil!