Noch hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) über die eingebrachte Staatshaftungsklage wegen des hohen Bodenverbrauchs in Österreich Ende Mai nicht entschieden. Die Gegenschriften der beklagten Parteien liefern aus Sicht der österreichischen NGO AllRise allerdings jede Menge Gründe für eine tiefgreifende Untersuchung, denn sowohl die Republik als auch die Bundesländer Oberösterreich und Niederösterreich argumentieren widersprüchlich gegenüber dem VfGH und der EU-Kommission. Eine entsprechende Replik wurde nun von AllRise eingebracht.
Eine detaillierte Analyse der Ausführungen der beklagten Parteien durch Anwalt Wolfram Proksch und das AllRise Team haben ergeben, dass Bund und Länder teils bemerkenswert konstruiert wirkende Formalismen verwenden und nicht auf die Argumente der Klage eingehen wollen. Zudem werden Widersprüche sichtbar, so hat das Land Oberösterreich in einem Vertragsverletzungsverfahren gegenüber der EU-Kommission Verstöße gegen die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie eingeräumt, in ihrer Gegenschrift an den VfGH jedoch behauptet, es liege keine mangelhafte Umsetzung derselben vor. „Die Gegenschriften sind ein deutlicher Versuch, den Verfassungsgerichtshof sowie die Bevölkerung hinters Licht zu führen“, erklärt Johannes Wesemann, Gründer von AllRise. „Die vorgebrachten Argumente sind teils unrichtig und unsubstantiiert und reichen bis zur Leugnung eines Zusammenhangs zwischen Bodenschutz und Klimawandel.“
Die nun eingebrachte Replik deckt die widersprüchlichen Begründungen auf und stellt zusätzlich wissenschaftliche Expertise bereit. Prof. Franz Essl, Ökologe an der Universität Wien im Rahmen eines Pressebriefings: „Es ist kein Geheimnis, dass versiegelte Flächen kein oder nur kaum Wasser aufnehmen können und dadurch bei Extremwetterereignissen Überschwemmungen zunehmen. Schon heute hat diese Tatsache gravierende Auswirkungen auf die Bevölkerung, aber auch die Wirtschaft.“ Die Ausweitung verbauter Flächen sieht Essl dabei als maßgeblich verstärkenden Faktor.
Nachweisbarer Schaden
Auch die Tatsache, dass dem Kläger bereits erheblicher finanzieller Schaden entstanden ist und auch in weiterer Folge noch entstehen wird, leugnen die beklagten Parteien. Tatsache ist jedoch, dass laut Rechnungshof alleine für den Zeitraum 2021 bis 2030 vier bis neun Milliarden Euro für den Zukauf von Emissionszertifikaten anfallen werden – ganz zu schweigen von den Kosten, die durch den direkten Schaden durch den Klimawandel entstehen. Die wissenschaftlichen Expert:innen Prof. Helga Kromp-Kolb und Prof. Franz Essl beziffern diesen für Österreich mit jährlich etwa zwei Milliarden Euro. In Jahren mit außergewöhnlichen Extremereignissen kann der Schaden noch deutlich höher ausfallen. Wird nicht rasch gehandelt und bleiben die Klimaschutzmaßnahmen hinter den Erfordernissen zurück, ist bereits 2050 mit mittleren klimabedingten Schäden zwischen 4,3 und 10,8 Milliarden Euro jährlich zu rechnen. Nicht enthalten sind darin nicht quantifizierbare Schäden wie etwa der Biodiversitätsverlust. „Die ungehemmte Versiegelung Österreichs ist Gift – für die Natur und unsere Lebensqualität“, so Biodiversitätsexperte Essl.
„Wenn es die Politik nicht tut, dann müssen die Gerichte handeln“
Die starke Ausweitung der Baulandflächen in Österreich hat maßgebliche negative Auswirkungen auf das regionale Klima und Klimaextreme. „Insbesondere in Ballungszentren führen verbaute Flächen zu einem heißeren und trockeneren Lokalklima. Der Hitzeinseleffekt kann dabei kurzfristig mehrere Grad betragen. Das führt auch zu einem erhöhten Mortalitätsrisiko“, erklärt Prof. Essl. Trotz all dieser evidenzbasierten Daten gibt es seitens der Politik bisher keine deutlichen Zeichen, den Bodenverbrauch einzudämmen und das selbst gesteckte Ziel von 2,5 Hektar pro Tag zu erreichen. Rechtsanwalt Wolfram Proksch ruft daher den Verfassungsgerichtshof an, zu handeln: „Wir haben in unserer Replik sehr ausführlich sämtliche Argumente der Beklagten analysiert und widerlegt. Der Unwille seitens der Politik, endlich beim Thema Bodenverbrauch tätig zu werden, muss beendet werden.“ Auch die Zuständigkeiten müssten endlich so geregelt werden, dass eine Bereicherung durch Politiker:innen – wie erst kürzlich wieder bekannt wurde – nicht mehr möglich ist. Zudem braucht es eine verbindliche Bodenschutzstrategie, ein Klimaschutzgesetz und einen Finanzausgleich, bei dem jene Gemeinden gefördert werden, die sich für den Klimaschutz einsetzen. „Wenn die Politik untätig bleibt, dann brauchen wir umso mehr eine starke Justiz, die die Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf ein gesundes Leben schützt“, so Wesemann abschließend.
Über AllRise
AllRise ist eine gemeinnützige Organisation, die sich auf Klimaschutzklagen fokussiert und diejenigen juristisch zur Rechenschaft ziehen möchte, die direkt und indirekt die Zerstörung der Umwelt verursachen. Das Team, das den ersten Fall beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag eingereicht hat, um Jair Bolsonaro und Mitglieder seiner Regierung wegen Beihilfe zur Umweltzerstörung im brasilianischen Amazonasgebiet anzuzeigen, besteht aus führenden Expert:innen auf ihrem Gebiet.