Der renommierte Vorarlberger Historiker und Gründer der Rheticus Gesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Gerhard Wanner, stellt Gsi.News seine erst Ende 2025 veröffentlichte Publikation anlässlich des heurigen Jubiläums „Feldkirch 100“ zu einem Thema zur Verfügung, welches in der Geschichtsschreibung ein Novum darstellt und seinesgleichen sucht: Das Leben der Frau vor 100 Jahren. Teil 2 widmet sich Ernährung und Haushalt.
Ernährung und Haushalt
Es herrschte die allgemeine Ansicht, dass eine tüchtige Hausfrau wesentlich zum ehelichen Glück beitragen könne – das hieß wirtschaften, sparen und kochen. Sämtliche Frauenvereine der Stadt machten sich daher die hauswirtschaftliche Bildung zu ihrem Hauptanliegen. Dieses bürgerliche Frauenbild änderte sich während des Ersten Weltkrieges stark, da viele Frauen zivile und öffentliche Funktionen der Männer übernehmen mussten. (W 2014, 75-79 / Pichler, 135-142)
Ein großes Problem stellte bald nach Kriegsbeginn der Mangel an Nahrungsmitteln für die Versorgung städtischer Familien ohne Grundbesitz dar. Es wurden die Rationierung der Lebensmittel eingeführt und öffentliche „Notstandsküchen“ angeboten: Über ein Jahr lang wurde täglich an 30 Kleinrentner ein Mittagessen unentgeltlich übergeben. Die behördlichen und subventionierten Lebensmittelverkaufsstellen waren kaum in der Lage, den Kalorienbedarf zu decken. Händler hielten ihre Vorräte zurück. Das Militär kaufte zu hohen Preisen Milch und Fleisch. Die größten Schwierigkeiten bereitete die Milchversorgung, worunter vor allem Kleinkinder litten. Ärmere Leute versuchten in der ländlichen Umgebung Feldkirchs Nahrungsmittel zu erbetteln. Bei Kriegsende war die Not so groß, dass sich auf Feldkirchs Straßen ein nie dagewesenes Schauspiel bot – im März 1920 demonstrierten Frauen vor der Bezirkshauptmannschaft, als kein Mehl, Fleisch und Fett zu erhalten war. Der Milchpreis hatte sich verdoppelt. (Pichler, 55 f / W 2000, 10 f)
Im Jahr 1923 war die ärgste Notsituation überwunden, die Kronenwährung konnte stabilisiert werden und die Güterversorgung durch die in- und ausländischen Märkte kam wieder in Gang. Dadurch gelang den beiden großen Vorarlberger Frauenvereinen die einmalige, sogenannte „Ruhrkinderhilfe“ zu deren Erholung im Land Vorarlberg. Bis September 1924 kamen beinahe dreitausend Kinder in den Genuss dieser Aktion. Über ihre Abreise wird berichtet: „Die Kinder sahen alle sehr gut aus, alle haben eine bedeutende Gewichtszunahme zu verzeichnen. (…) Es war rührend zu sehen, wie die Kleinen ihre oft schweren Lasten mit ihren oft geringen Kräften zum Zuge schleppten. Wie viele Eßwaren und Kleidungsstück und wie viel Liebe zu den Kindern mögen die Pflegeeltern in diese Pakete eingepackt haben.“ (VT, 7.10.1924 / (Ebenhoch, 58 f)
Nachdem sich die Landesregierung am 1. Jänner 1925 dazu entschlossen hatte, die Schillingwährung einzuführen, begann ein rascher Konjunkturaufschwung. Die christlichsoziale Stadtführung beschloss eine Reihe konjunkturbelebender Maßnahmen: Der kreditfinanzierte Ausbau der Infrastruktur belebte das Baugewerbe. Es wurden zur Selbstversorgung 390 Schrebergärten im Umfang von 1 bis 3 Ar verteilt und die Gemeinde kaufte 1925 am Nenzingerberg eine Alpe im Ausmaß von 26 ha. – 1927 kamen 45 ha dazu, wodurch bis zu 180 Stück Vieh gesömmert werden konnten. 1926 entstand der „Verein für Geflügelzucht für Feldkirch und Umgebung“. (W 2000, 11-36)
Die Nahrungsmittelkrise war überwunden, was Feldkirchs Hausfrauen 1924 auch auf dem „Wochenmarkt“ zu Gesicht bekamen: Es gab Tafel- und Kochbutter und gar sieben Käsesorten. Ein Stück Ei kostete noch 1.555 Kronen bzw. 0, 26 Groschen. Sogar ein Spanferkel wurde um eine Million Kronen bzw.110.-Schilling angeboten. (FA, 2.4.1924) Männer exklusiv, gaben sich in der Bahnhofswirtschaft, im Vorarlberger Hof und im Gasthaus zum Freihof in der Felsenau „Schlachtpartien“ mit „gemütlichem Jasserabend“ hin. Es fehlte an nichts – Blut- und Leberwürste, Schweinsknöchle, Kesselfleisch mit Sauerkraut. (FA, 23.2.1924)
Bei einem Rundgang durch die Stadt standen Frauen aus der zahlungskräftigen Oberschicht etliche Spezialgeschäfte zur Verfügung:
- Ferdinand Pfanner bot in der Montfortgasse „sehr schönes, frisches, holländisches Wintergemüse“ an.
- Richard Stengele hatte den „verehrten Hausfrauen Feldkirchs“ neben „prima“ Ochsen- und Schweinefleisch, Brat- und Weißwürste zu bieten – noch dazu „welche aufgehen und nicht zusammenfallen“.
- Julius Meinl in der Schmiedgasse lieferte „stets frische Kaffeemischungen“, wurde aber von Johann Josef Gohm in der Neustadt überboten: Seine „hochfeinen Kaffeemischungen“ stammten nämlich von den „neuesten Maschinen“ der eigenen Rösterei. Außerdem gab es englischen und russischen Tee feinster Qualität „Marke Teekanne“.
- Tiroler Weine „bester Qualität“ lieferte die Weinhandlung Gruber.
Die Ernährung hatte 1925 solch einen Standard erreicht, dass das Energieunternehmen „Stadtwerke Feldkirch“ und Bürgermeister Anton Gohm im Saalbau einen kostenlosen „Hausfrauenvortrag“ mit praktischen Vorführungen in die Wege leitete. Anspruchsvoll lautete das Thema: „Zweckmäßige Ernährung in wirtschaftlicher und gesundheitlicher Hinsicht.“ (FA, 11.3.1925)
Viele Männer, die dem „lobreichen Heldentod“ entronnen waren, litten unter traumatisierenden psychischen Störungen. Eine Möglichkeit zur Kompensation bot der allgemein akzeptierte und kultivierte Alkoholkonsum zu Hause, bei den zahlreichen Veranstaltungen und in den Gasthäusern. Im Bezirk Feldkirch kam 1924 ein Gasthaus auf 180 Einwohner. Im gesamten Land gab es 16 Bierbrauereien und 6307 lizensierte Brennereinen, die wirkliche Anzahl wurde auf das Doppelte geschätzt. An Most wurden jährlich 120.000 Hektoliter konsumiert, Wein 900.000 Liter.
Im April 1924 fühlten sich Landtag und Gemeinden gezwungen, gesetzlich und mit differenzierten Maßnahmen gegen den ausufernden Alkoholkonsum vorzugehen. Die härteste Maßnahme war die Entmündigungsverordnung, nach welcher Trinker, die sich oder ihre Familie „irgendwie gefährdeten“, beschränkt entmündigt werden konnten und in einer Heilanstalt unterzubringen waren. (FA, 11.4.1924 / VW, 14.1. und 25.4.1925)
Für Heiz- und Kochzwecke verwendeten Feldkirchs Frauen seit Jahrhunderten Holz. Diese Energiequelle war für die Stammbürger billig, da ihre Haushalte jährlich aus den städtischen Waldungen im Saminatal das sogenannte „Bürgerholz“ erhielten. Einen Ersatz zu den Bürgernutzungen bot die Torfgewinnung auf Gemeindeteilen in den angrenzenden Fraktionen Tosters und Altenstadt. Von 1921 bis 1924 wurden bis zu 700.000 Stück abgegraben. Eine neuartige Alternative ergab sich im Jahr 1872 mit der Eröffnung der Vorarlbergbahn von Bregenz bis Bludenz mit Anschluss an Deutschland: Billige Kohle konnte von dort importiert werden. Im selben Jahr wurde das Feldkircher Gaswerk eröffnet. (VV, 2.2.1924)
Erst 1906 folgte der nächste Entwicklungsschritt mit der Eröffnung des lokalen Elektrizitätswerkes am Mühlebach. Haushalte und Gewerbebetriebe erhielten Strom, wenn auch vorerst nur in unterschiedlicher Qualität und mit Energieschwankungen. Eine entscheidende Wende trat 1924 ein: Feldkirch wurde in aller Stille an das Landesstromnetz angeschlossen und es wurde damit eine sichere und konstante Energiequelle auch für die einzelnen Haushalte geschaffen. (FA, 19.11.1924)
Von nun an nahm der Verbrauch von ausländischer Kohle konstant ab. Sie war bislang zusammen mit geruchloser und chemisch gereinigter Buchenholzkohle von der Eisen- und Kohlenhandlung Paul v. Furtenbach in der Marktgasse geliefert worden. Bügeleisen wurden mit Kohle erhitzt. Neuartige „Kleinsparherde“ mit Heizöl und „Petroleumgasherde“ kamen 1924 in Betrieb. Elektroküchengeräte und Kühlschränke gab es noch nicht. Die allseits beliebten Nähmaschinen für Heimarbeiten liefen mit Fußantrieb und das Waschen erfolgte händisch. Es gab jedoch einen billigen Waschapparat namens „Ingenius“ (Erfindung) aus einem massiven Stück Kupfer hergestellt, eine Art händisch zu bedienendes Luftdruckgerät. Der Eisenwarenverkäufer Josef Manner in der Neustadt versprach: „Mit diesem Apparat sind sie in der Lage, in wenigen Minuten einen großen Haufen Wäsche fein, sauber, bei größter Schonung derselben zu waschen und zu schwemmen.“ Der Preis für dieses Wunderwerk wurde nicht genannt. „Probewaschen“ war möglich. (FA, 31.1.1925)