Kinder und Jugendliche begehen in Österreich so viele Straftaten wie noch nie zuvor. Der Innenminister setzt auf gefängnisähnliche Unterbringung in Heimen. Das mag für die sogenannten Systemsprenger, das sind Jugendliche, die monatlich so fünfzig Straftaten begehen, als Sofortlösung unvermeidlich sein. Das ist ja dann weniger eine Strafe, die sowieso weder zu Reue noch zu Besserung führt. Vielmehr ein vorübergehender Schutz der Gesellschaft.
Von Dr. Albert Wittwer
Die Gesellschaft, die sich vor den später vielleicht noch gefährlicheren Erwachsenen schützen will, kann die Frage nach den Ursachen nicht ignorieren. Das ist gründlich erforscht, von Hannah Arendt, Peter Sloterdijk bis Joachim Bauer, um nur einige zu nennen.
Sehr wenige Menschen sind „delinquente nato“, also als Verbrecher geborene Psychopaten. Der Mensch, ein Mangelwesen, unfertig geboren, bedarf jahrelanger warmherziger Betreuung und Erziehung, um zu einem sozialen, stabilen Erwachsenen zu werden. Bei den meisten Straftätern wird man in der mangelnden Fürsorge, bei Wärme und Zuneigung, die sie als Kinder entbehren mussten, fündig. Statt dass ihnen vorgelesen würde, sehen sie absurde Prügelszenen in Comics und Unterhaltungsvideos. Und dann die fehlgeleiteten Idole, Spitzensportler, mit Werbemilliarden finanzierte, grobe Events.
Wer in Österreich einen Greifvogel halten will, braucht eine Ausbildung und eine Genehmigung. Wer einen Hund halten will, muss einen Kurs absolvieren. Kinder kann, darf und soll jeder bekommen und großziehen. Sie verzeihen mir den Vergleich? Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Privat- und Familienlebens erlaubt den Eltern auch gröbere Behandlung von kleinen Kindern. Noch immer, gegen alle Evidenz weit verbreitet: das Schreien-Lassen von Säuglingen, das Strafen. Teils unter Vorwand und Missinterpretation religiöser Regeln, „Wer seinen Sohn liebt, züchtigt ihn“.
Durch Einsperren von Kindern in gefängnisähnlichen Heimen, womöglich ohne sozialpädagogische Therapie, erspart sich die Gesellschaft nichts. Sie bleiben dann lebenslang Problemfälle. Besser wäre es, statt Gefängnisse zu finanzieren, die Sozialabteilungen der Bezirkshauptmannschaften mit mehr Interventionsmöglichkeiten auszustatten. Und, was auch schon geschieht, die gemeinsame, kompetente Betreuung von Kleinkindern systematisch auszubauen und verpflichtend zu machen. Kinder, die von ihren Eltern gut betreut und versorgt werden, lernen dort zusätzliche soziale Kompetenz im Stil von „Man braucht ein Dorf, um ein Kind aufzuziehen“*). Für die anderen Kinder ist sie existenziell.
Anmerkungen:
- Cesare Lombroso: „delinquente nato“, 1876:
- Zum Sport: „Immer wieder pervertierten Machthaber den natürlichen Drang nach Bewegung“; Dr. med. Arvid Neumann: Die Fitnesslüge, Dumont 2024 S 126
- https://science.orf.at/stories/3229665/ „Der Mythos vom fairen Sport“
- Ausbildung für Hundehalter: https://orf.at/stories/3347602/
*) Yoruba-Sprichwort