Die Abschiebung von Familien mit gut integrierten Schulkindern nach Ausschöpfung des Instanzenzuges wird breit diskutiert.
Es gibt die Anhänger der Rechtmäßigkeit. Sie verstehen sie im Sinne der genauen Einhaltung der österreichischen Gesetze. Sie neigen zur Grundsätzlichkeit. Und verstehen darunter: Ende der Fahnenstange. Wo kämen wir hin…
Wir alle sind Sünder? Natürlich nicht. Wir melden die Frau, die zweimal die Woche die Wohnung aufräumt, bei der Sozialversicherung an und zahlen Dienstgeberbeiträge. Wir lassen das Bad usw. nur gegen Rechnung installieren. Das Hüslebauen basiert ausschließlich auf Nachbarschaftshilfe. Die Altbatterien tragen wir lange mit uns herum, bis wir endlich in der Altwertstoffentsorgungs-Station andocken. Jedes Honorar melden wir dem Finanzamt. Bei Verkehrsstille und guter Sicht warten wir, bis die Ampel irgendwann auf grün umschaltet.
Gesetzgebung und Vollziehung versuchen, das Zusammenleben zu regeln, Werte und Interessen zu schützen. Sie werden dem Recht zugezählt. Recht klingt nach Gerechtigkeit. Sicher sind manche Vorschriften und Entscheidungen gerecht in diesem Sinn. Viele Vorschriften haben aber keinerlei derartige Qualität. Es sind Konventionen, wie etwa der Rechtsverkehr, die Einigung auf Dezimalsystem und Ö-Normen, der Schutz des Landschaftsbildes in der Bauordnung.
Fast unbemerkt erbringen Justiz und teilweise die Verwaltung einen ungeheuren zivilisatorischen Nutzen: Sie entscheiden spätestens nach Erschöpfung des Instanzenzuges „endgültig“ und unblutig. Stammesfehden und Blutrache, das Recht des Stärkeren sind beseitigt. Diese Klarheit und Sicherheit sind von größtem Nutzen. Mag sein, daß uns die Entscheidung nicht gefällt, dennoch wenden wir uns dann ab und unsere Aufmerksamkeit anderem zu.
Ja genau, sagen die Abschiebungsbefürworter, der Instanzenzug ist ausgeschöpft, also aufräumen, abschieben. Das ist der Grundsatz, der für alle gelten muß. Wenn aber die Juristen „grundsätzlich“ sagen, meinen sie, davon gibt es Ausnahmen. Wo sollte es sie geben? Vielleicht in der Beziehung des Einzelnen, sogar des Flüchtlings, zur Macht.
Der Staat hat das Machtmonopol. Die Macht kommt aus den Gewehren. Die Exekutive, die Polizei mag uns schützen. Und sie holt diese Eltern mit ihren Kindern ab, setzt sie streng bewacht in ein Flugzeug. Muß uns die Macht vor diesen Menschen wirklich schützen? Warum begnadigt der Bundespräsident jedes Jahr verurteilte Straftäter? Könnte das humanitäre Bleiberecht, vielleicht geknüpft an aufnehmende Gemeinden, uns als sympathische, mitfühlende Gesellschaft aufwerten?
Die praktizierte Rechtsordnung ist unvermeidlich fehlerhaft, da Menschenwerk. Solange sie nicht perfekt ist, wachsen wir in der Ausnahme über uns hinaus.
Anmerkungen:
Gnade vor Recht: Die Bibel, Römer 8,5
Kurt Marti: „Wo chiemte mer hi / wenn alli seite / wo chiemte mer hi / und miemer giengti / für einisch z’lu‘ge / wohi dass me chiem / wenn me gieng.“
„Die Macht kommt aus den Gewehren“, Wolf Biermann