Der renommierte Vorarlberger Historiker und Gründer der Rheticus Gesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Gerhard Wanner, stellt Gsi.News seine erst Ende 2025 veröffentlichte Publikation zu einem Thema zur Verfügung, welches in der Geschichtsschreibung ein Novum darstellt und seinesgleichen sucht: Das Leben der Frau vor 100 Jahren. Teil 4 widmet sich dem Thema Soziale Vereine.
Von Dr. Gerhard Wanner
Soziale Vereinsaktivitäten
Neben Haushalt und Mutterschaft zählten karitative Tätigkeiten zu den wichtigsten Aufgaben von Frauen. Unterstützung boten die mit Beginn der Ersten Republik aufblühenden Frauenvereine mit hunderten von Mitgliedern an. Sie orientierten sich weltanschaulich nach den Ideologien von drei Parteien: Die zahlenmäßig stärksten Gruppen standen in Feldkirch der Christlichsozialen Volkspartei nahe, gefolgt von der Deutsch-freiheitlichen Volkspartei (Großdeutsche). Die Sozialdemokratische Partei besaß Frauenvereine nur in wenigen städtischen Gemeinden mit starkem Industrialisierungsgrad und in Zentren der Bundesbahnen wie Bludenz und Feldkirch-Levis.
Trotz unterschiedlicher Ziele gab es Gemeinsamkeiten: Sie widmeten sich öffentlicher Fürsorge und Wohltätigkeitszwecken. Ihre erzieherischen Tätigkeiten von Mädchen und jungen Frauen dienten hauptsächlich hauswirtschaftlichen Belangen in Hinblick auf den späteren Beruf als Hausfrau und Dienstmädchen. Nach den Wirren des Ersten Weltkrieges übertrug man den Frauen die „Wiedererneuerung des Familiensinnes“ und einer „wahren Häuslichkeit“. Als Ergänzung zu den oft aufopferungsvollen Tätigkeiten dienten allen diesen Vereinen gesellige Veranstaltungen, Unterhaltung mit Musik, Tanz und Theateraufführungen. (Ebenhoch, 34-46)
Es war hauptsächlich die Gemeinde, welche die Lasten für Soziales trug. Feldkirch finanzierte seine Sozialausgaben über Einnahmen aus dem sogenannten Armenfonds, der Lustbarkeitssteuer, Hundetaxe, den Tanzlizenzen und diversen Strafgeldern. Die höchsten Ausgaben flossen in die Krankenpflege, das Altersheim, das Waisenhaus, die Naturalverpflegsstation, an Kleinrentner und für diverse Zwecke. Die abgegebenen Sammel- und Mitgliedsbeiträge der karitativen Frauenvereine entlasteten wesentlich die Ausgaben Feldkirchs für das Kranken- und Fürsorgewesen.
Mit Kriegsbeginn im Juli 1914 spielten Feldkirchs Frauen zusammen mit dem Roten Kreuz eine wichtige karitative Rolle für das Militär. Sie übernahmen die Leitung in dem im selben Jahr gegründeten städtischen Waisenhaus, das in erster Linie religiösen und erzieherischen Zwecken diente. (W 2014, 75 f) Dazu kamen nach Kriegsende die Landesvereine für Kriegerwitwen und Waisen, Mutterberatungs- und Säuglingsfürsorgestellen und die Wöchnerinnenfürsorge. (Ebenhoch, 120-128)
Im Oktober 1919 wurde der städtische Krankenpflegeverein gegründet, der hauptsächlich alleinstehenden Kranken und Wöchnerinnen half. In seinem Vorstand war 1924 Feldkirchs Beamtenelite vertreten, Professoren und Doktoren. Die Gattin des Bahnmeisters war Stellvertreterin des Obmanns. Vereinsvorstand fanden sich eine Offiziersgattin, zwei Kaufmannsgattinnen und eine Professorsgattin. (FA, 29.11.1924) Die Initiative war vom Gymnasialdirektor Dr. Karl Winter ausgegangen. Vier bis fünf weltliche und geistliche Schwestern übernahmen Tagespflege, Nachtpflege und Besuche mit Dienstleitungen – jedoch nur für Mitglieder! Der Bedarf war immens: Von 1920 bis 1925 stiegen die zahlenden Mitglieder von 249 auf 673 Personen. Für Alleinstehende betrug 1922 der Jahresbeitrag 5.000 Kronen, im Dezember 1935 zwei Schilling. (Volaucnik 2019, 271-288)
Sozialer Status der Mitglieder im Jahr 1925:
83 Alleinstehende
286 Familien mit drei Personen
255 Familien mit sechs Personen
49 Familien mit mehr als sechs Personen
Zu den konservativen Frauenvereinen zählten in Feldkirch die Marianische Jungfrauen-Kongregation, seit 1881der traditionsreiche St. Elisabethverein und Vinzenzverein, der Katholische Frauenbund, der Katholische Arbeiterinnenverein und der Mütterverein. Die Armen- und Krankenpflege hatten die Kreuzschwestern übernommen. Um Kinder sorgten sich weitere fünf Frauenvereine. Sie stellten damit einen wichtigen Sozialisationsfaktor und ideologischen Wegbereiter dar. (W 2021) Die Gründung dieser Vereine geschah meist von Feldkirch aus, da sich hier das „Oberhaupt“ der Kirche befand – Generalvikar und Bischof Sigismund Waitz aus Südtirol.
Der älteste Frauenverein in Feldkirch war der St. Elisabeth-Verein, 1867 gegründet. Er dienste der „Pfarrcaritas“ zur Versorgung Armer und Kranker
Seine Würde und Anerkennung kam 1924 darin zum Ausdruck, dass er seine Jahres-Hauptversammlung in Beisein des Bischofs Waitz und des Caritasdirektors Gorbach im Rathaussaal abhalten konnte. Zur Obfrau wurde Maria Rauch gewählt, zur 1. Rätin Isabella Gaßner, die weiteren Vorstandsmitglieder sind ein Verzeichnis von Frauen aus der Oberschicht mit Namen wie Batliner, Furtenbach, Leone, Sausgruber, Schimper, Vonbun usw. (FA, 26.11.1924)
Die Leitung der Marianischen Jungfrauenkongregation lag in der Führung eines vom Bischof bestellten „Präses“, meist ident mit dem Ortsgeistlichen, und strebte die religiös sittliche Erziehung der weiblichen Jugend an. Wenn sich auch die Christlichsoziale Volkspartei von den seit 1919 wahlberechtigten Frauen keine direkte und aktive Parteitätigkeit erwarte, war es zumindest ihre Pflicht, den von „Kulturkämpfern“ gefährdeten katholischen Glauben mit dem Wahlzettel zu verteidigen: „Die Frau der christlichen Kultur muß Gegnerin des Bolschewismus und Kommunismus sein, die ihr ihre vom Christentum erhaltene ebenbürtige Rolle rauben.“ (Ebenhoch, 37)
Frauen wurden auf diese Rollen vorbereitet: So sprach im Februar 1924 der Dornbirner Pfarrer in einer Frauen- und Mädchenversammlung in Feldkirch „Über die Stellung der Frau im öffentlichen Leben“. Auch Bischof Sigismund Waitz ließ es sich nicht nehmen, dem Feldkircher Frauenbund einen Besuch abzustatten. Der Festredner „sprach in eindringlichen Worten über das, was unserer Zeit nottut, die Rückkehr zu den Idealen der christlichen Familie“. Der Abend endete mit den Klängen eines Orchesters und dem gesammelten Reinertrag von 20 Millionen Kronen als Baustein für das neu errichtete Erholungsheim für Frauen in Batschuns. (FA, 20.12.1924)
Zu den Weihnachtsfeiertagen 1924 sammelte der Frauenbund für arme Kinder Geschenke, die meist in Eigenregie als Spielsachen und Kleidungsstücke in ihrer „Nähstube“ hergestellt worden waren. Es betraf 80 Kinder: „Die Zahl der zu Bescherenden wird jedes Jahr größer.“ Der Verein betrieb auch eine sogenannte „Notstandsküche“ für Arme und Kranke. Caritasdirektor Gebhard Gorbach ermunterte die Frauen anlässlich ihrer Generalversammlung „(…) in seiner von echter Begeisterung getragener Rede, in wie hervorragender Weise die Frauen berufen sind, Werke der christlichen Nächstenliebe zu üben und daß nur in der Betätigung der Caritas das Glück liegen könne“. (FA, 28.5.1924)
Auch der Deutsche Frauenverein, 1920 als Landesorganisation gegründet, besaß großes Ansehen: Sein Vereinslokal befand sich in den Räumen der Tiroler Bank. Obfrau war Anna Pümpel. Seine Veranstaltungen erfreuten sich unter der Feldkircher Bürgerschaft großer Beliebtheit und „ein weit über den Rahmen einer Parteiveranstaltung hinaus gehendes Wohlwollen und Verständnis“. Besucher waren „sämtliche deutsch gesinnten Kreise der Bevölkerung ohne Unterschied des Standes“. (FA, 13.12.1924 / Ebenhoch, 27-29)
Der Verein organisierte auch Kurse: Es waren Kleidernähkurse und die beliebten Kochkurse: „Mit Lust und Freude sind die Teilnehmerinnen bemüht, in die Geheimnisse der edlen Kochkunst, die so ziemlich die einzige von Männern gewürdigte Kunst der Frauen ist, einzudringen.“ Nicht fehlen durften die „Kaffeekränzchen“ und Ausflüge in die Umgebung. (FA, 4.3.1925) Die Vereinsabende bestanden aus umfangreichen und unterschiedlichen geselligen Darbietungen. Es gab „humoristische Singspiele“, Theateraufführungen von Vereinsmitgliedern und „Glückstöpfe“, deren Einnahmen sozialen Zwecken zugutekamen. Die Veranstaltungen endeten meist mit Tanz und Gesang und dem Aufspielen von „Musikbanden“. Von großer Bedeutung waren die sozialen Spendenaktionen, die am Nikolausabend ihren Höhepunkt erreichten und solchen Andrang erlebten, dass der Verein den Saalbau benutzte und einen Kartenvorverkauf veranlasste.
Es gab einen „Glückstopf“ und Waren zum Verkauf, die von den Vereinsmitgliedern erzeugt worden waren. Beträchtliche Summen kamen zusammen, deren Spenden uns einen Einblick in die sozialen Einrichtungen und die sozialen Randgruppen der Stadt Feldkirch ermöglichen:
- Feriensiedlung Amerlügen – Tobelhaus: 8 Millionen Kronen
- Krankenpflegeverein: 2 Millionen
- Invaliden: 1 Million
- Arme Kriegerwitwen- und Waisen: 1Million
- Arme Volksschulkinder: 1 Million
- „Arme, alte Leutchen an Sonn- und Festtagen der Weihnachtszeit volle gute Verpflegung, vier Mahlzeiten“
- Fleischspenden an die Notstandsküche. (VT, 29. und 30.12.1924)
- Nahrungsmittel an die Gymnasial-Schulküche, um „vor allem für die Kräftigung unserer heranwachsenden Jugend in einem gesunden Körper ein gesunder Geist nach Kräften beizutragen“. (FA, 27., 29. und 30.12. 1924)
Fräulein Marie Mutter, 1865 in Feldkirch geboren, war eine gebildete Frau aus der Familie eines Fabriksbesitzers. Sie verstarb am 28. März 1924. Zur Beerdigung hatten sich „Trauergäste in so ungewöhnlicher Zahl eingefunden, wie man sie bisher bei keiner Leichenbestattung gesehen hatte“. Es waren mehrere tausend. Noch kurz vor ihrem Tod sollte ihr die Ehrenbürgerschaft der Stadt Feldkirch überreicht werden – sie war für ihre permanente und vielseitige Wohltätigkeit bekannt und schenkte der Stadt das Kinderheim. Sie gehörte zu den Mitbegründern des Mädchen-Instituts St. Josef am Ardetzenberg. (Getzner 1984 / Vallaster, 243 / FA, 2.4.1924 / VV, 2.4.1924)
Zur selben Zeit organisierte die Witwe Maria Obendorf erstmals im Feldkircher Landesgefangenenhaus „eine bescheidene Christbaumfeier“. (FA, 17.12.1924)