Maus. Die Geschichte eines Überlebenden (Originaltitel: Maus. A Survivor’s Tale), ein Comic von Art Spiegelman, der schwarzweiß die Geschichte seines Vaters, eines Überlebenden von Auschwitz, und seiner Mutter erzählt, gilt heute als Klassiker. Seit seinem ersten Erscheinen in den 1980er Jahren ist es kein Tabu mehr, die Geschichte des Holocaust in Form von Comic oder Graphic Novel zu erzählen. Das mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Werk sorgt zwar bis heute immer wieder für heftige Diskussionen: das Medium Comic gilt vielen Menschen als zu trivial, um eine seriöse Darstellung des Holocaust zu ermöglichen. Das Thema des Nationalsozialismus ist aber zum fixen Bestandteil der Comic-Kultur geworden.
Von Julia Gschwendtner/Kunstuni Linz
Der Tag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, der 5. Mai, ist eine Verpflichtung zu einer zeitgemäßen Erinnerungsarbeit. Die Tagung „NS-Geschichte im Rinnstein. Comics als Medium der Erinnerung“ am 4. und 5. Mai, veranstaltet vom Co.Lab Erinnerungsarbeit • ästhetisch-politische Praktiken an der Kunstuniversität Linz und vom Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim, beschäftigt sich mit Erzählungen und Rezeptionen im Gefolge von Spiegelmans Werk. Der Rinnstein ist der Raum zwischen den Panels im Comic, im Englischen Gutter genannt. Die Tagung schaut also auch hinter die Bilder, beschäftigt sich mit Werkentstehung und -bedeutung eines ganz und gar nicht trivialen Mediums.
In verschiedenen Panels werden Comics über Konzentrationslager, erinnerungskulturelle Projekte wie die Überlebensgeschichten von Kindern, Täter*innen, Widerstand und Partisan*innen, die Internierung von Japaner*innen in den USA diskutiert. Auch der Einsatz von Comics und Graphic Novels in Schulen bzw. in der Bildungsarbeit wird thematisiert. Spiegelmans Maus wurde zuletzt aus dem Lehrplan im US-Bundesstaat Tennessee entfernt. Ein besonderer Schwerpunkt der Tagung liegt auf Comics aus und über Österreich bzw. österreichische Protagonist*innen. Die Tagung ist eine gute Möglichkeit, das Werk von Autor*innen, Zeichner*innen, Comic-Forscher*innen, Gedenkstättenmitarbeiter*innen und Pädagog*innen aus Deutschland, Kanada, den Niederlanden, Österreich, Polen, den USA kennenzulernen.
© Kunstuniversität Linz
Für Universitätsprofessorin Angela Koch ist die Tagung ein wichtiger Eckpfeiler in der Entwicklung des Co.Labs Erinnerungsarbeit • ästhetisch-politische Praktiken. „Wir beschäftigen uns mit neueren Formen des Erinnerns, mit Veränderungen der Erinnerungskultur durch Digitalisierung und ihre Ästhetisierung. Dabei geht es uns v.a. um künstlerische Auseinandersetzungen und multiperspektivische Zugänge. Wir diskutieren künftige Möglichkeiten des Erinnerns, die aus der Zivilgesellschaft heraus entstehen und mögliche Alternativen zur institutionalisierten Erinnerungspolitik darstellen.“
Am Abend des 5. Mai, dem Tag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, setzt die Kunstuniversität Linz mit der Ausstellung „konsequenz der treue“ eine weitere erinnerungspolitische Aktivität im Rahmen von 0505.
Kuratiert von Rainer Zendron präsentiert die Ausstellung Fotoarbeiten der beiden Künstler Kurt Lackner und Johann Schoiswohl, die den Auftritt der Fotografie als alltägliches Massen-Propagandamedium des Nationalsozialismus und seinen Nachwehen in den Kellern und Dachböden unserer Familien spiegeln und reflektieren. Statt Belehrung schaffen sie Leerräume, die erst von den Rezipient*innen kontextualisiert und gefüllt werden müssen.
Kurt Lackners Serie „Zur Erinnerung“ zeigt Portrait-Postkarten samt Widmungen von SS‘lern und Wehrmachtssoldaten für ihre Lieben. Der Werkblock „ohne Bilder“ von Johann Schoiswohl präsentiert Skelette von Familienalben, auf den entleerten Seiten ist – nur gelegentlich – ein kleiner Bildtext, doch nirgends ein Foto.
Ausstellungseröffnung: 5. Mai 2023, 17.30 Uhr; Ausstellung bis 11. Mai 2023
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, jeweils von 9.00 bis 18.00 Uhr