Morsch und heuchlerisch nennt der emeritierte Philosophie-Professor der theologischen Fakultät Wiens, Rudolf Langthaler, das System Kirche.[1] Ob er eine solch vernichtende Verurteilung vor seiner Emeritierung zu schreiben gewagt hätte, ist fraglich, denn die heilige Mutter Kirche hat schon früher, nämlich 1972, den kritischen Ordinarius der Theologischen Fakultät Wiens, Mynarek, um seinen Professoren-Job gebracht. Mynarek hat freilich noch viel Schlimmeres als Kirchenkritik begangen. Er ist als geweihter Priester zu seiner Freundin gestanden und mit ihr als Partnerin in der Öffentlichkeit aufgetreten. Solch humane Ehrlichkeit lässt die Kirche nicht durchgehen.[2] Den anderen geistlichen Herren, die bieder und auch mitunter recht komfortabel in mehr oder weniger gut getarnten partnerschaftlichen Verhältnissen leben, bereitet die Kirche keine existentiellen Probleme.[3]
Von Adi Untermarzoner
Verblüffend ist die Reaktion der Pseudokatholiken auf diese oft bekannten Verhältnisse der Kleriker. Die Aufklärung hat unübersehbar nicht nur bei den ca. 80 % Formalkatholiken, sondern selbst bei den 10 % Kirchgängern ein Umdenken hinsichtlich der Sexualmoral und der Bewertung des Zölibats bewirkt, so dass sie sich gar nicht mehr an den Liebschaften ihrer Kleriker entrüsten, wenn diese als Priester ihren Job menschenfreundlich und nach den inzwischen allgemein akzeptierten Werten der Aufklärung ausüben. Eine abgedroschene Plattheit der amtlichen, rein formellen Kirchenmitglieder über Kleriker, die gegen die leib- und lustfeindliche kirchliche Sexualmoral der Kirche verstoßen, lautet: „Das sind doch auch nur Menschen und man soll sie doch heiraten lassen.“ Solche Phrasen widersprechen allerdings der gesamten offiziellen katholischen Sexualmoral. Priester sind durch schwere Sünden der Unkeuschheit nicht mehr im Stande der heiligmachenden Gnade und begehen beim Zelebrieren der Eucharistie, ohne vorher gebeichtet zu haben, jedes Mal zusätzlich ein Sakrileg.
Heuchlerische und verlogene Institution Kirche
Es ist zwar offenkundig, dass, obwohl von der Kirchenführung hartnäckig am Zölibat festgehalten wird, dieser jedoch in der Praxis immer weiter am Verschwinden ist. Neben denen, die den Zölibat brechen, gibt es immer mehr Theologen, die ihm in den Laienstand ausweichen und zwar als staatlich hochdotierte Theologie-Professoren, Diakone, Pastoralassistenten und Religionslehrer. In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren Nichtkleriker als Professoren an der Theologischen Fakultät noch undenkbar. Viele liturgische Ämter werden inzwischen von mehr oder weniger theologisch Halbgebildeten und Laien ausgeführt. So existiert diese heuchlerische und verlogene Institution in unserer Gesellschaft wenigstens formal weiter. Wenige Ultraorthodoxe ausgenommen, sind mit dieser Einstellung sowohl die pseudotoleranten Laien als auch die klerikalen Zölibat-Brecher der Häresie verfallen. Hairesis (griechisch) heißt Auswahl. Häretiker sind jene, die sich aus dem kompletten, das heißt “katholischen“ Kanon von Glaubenssätzen, nur die Stücke herausgreifen, die ihnen passend erscheinen.[4]
Ursachen des formalen Weiterexistierens der Kirche
Es gibt mehrere Ursachen für diesen oben von Langthaler verurteilten, nun schon Jahrzehnte andauernden kirchlichen Zustand in unserer Gesellschaft. Eine Ideologie, die, wie die christliche, nun über zweitausend Jahre in Bildung, Politik und Wirtschaft bestimmend war, kann nicht in einigen Jahrzehnten verschwinden und ihre Wirkung verlieren. Bei Menschen im Pensionsalter ist die kirchliche Ideologie noch deutlich registrierbar. Sie machen den Großteil der sonntäglichen Gottesdienstbesucher aus – aber auch davon gibt es immer weniger.
Manipulation von Kindern durch Taufe, Firmung und Religionsunterricht
Wesentlich für die Weiterexistenz der inkonsequenten und scheinheiligen Situation ist die Manipulation von Kindern durch Taufe, Firmung und Religionsunterricht. Paradox ist, dass dies auch durch Eltern geschieht, die sich selbst längst von kirchlicher Glaubenslehre verabschiedet haben. Im Religionsunterricht, auch wenn er sich inzwischen vielfach zu einer Unterweisung in humanen Werten gewandelt hat, wird diese unehrliche Situation weiter zementiert. Die Ideen der Aufklärung sind glücklicherweise wenigstens zum Teil sogar bis in die Köpfe der Kleriker und Religionslehrer eingedrungen. Längst sind diese davon abgekommen, Dogmen breitzutreten, denn heute sind frauendiffamierende und die Jungfräulichkeit glorifizierende unfehlbare Lehren über die allzeit unbefleckte Mutter Gottes kaum mehr zehnjährigen Schülern zumutbar.
HC Strache als „Retter des christlichen Abendlandes“
Ein weiterer Grund für das Weiter-Vegetieren dieses innerlich toten Christentums sind die pseudochristlichen Parteien ÖVP und FPÖ, die offiziell zu dieser Ideologie aus rein politischem Kalkül stehen. Geradezu lächerlich wirkt nun die FPÖ, seit dem der bigotte Ex- Vizekanzler Heinz Christian Strache sich selbst demaskierte. Welche Peinlichkeit für die Kirche. Der mit dem Kruzifix herumfuchtelnde Skandalbruder, spielte sich als Retter des christlichen Abendlandes auf.
Keine Trennung von Kirche und Staat in Österreich
Andere Parteien, auch die NEOS, fürchten auch, die Stimmen der Pseudokatholiken zu verlieren und behaupten gar, es gebe in Österreich die Trennung von Kirche und Staat. Nur der Grün-Politiker Kogler wagte es, eine wirkliche Trennung von Kirche und Staat zu fordern. Eine Reduktion des Status der Kirche auf Vereinsniveau wäre wegen ihrer rechtlichen Verflechtung mit dem Staat zwar ein schwieriger und aufwändiger Prozess. Die Kirche ist wegen ihres immensen Besitztums und ihres Reichtums ein wirtschaftlich bedeutender Faktor im Staate. Zudem ist sie auch ein bedeutender Arbeitgeber und bietet viele staatlich besoldete Professoren- und Lehrerjobs.
Pseudokatholiken und Taufscheinchristen
Die Hauptursache des nur langsamen Zerfalls der Kirche sind primär die 80 % Pseudokatholiken. Diese Religion besteht nur weiter, weil sie der Staat finanziell am Leben erhält und die vielen Taufscheinchristen in der Institution verbleiben, obwohl sie innerlich längst emigriert sind. Die meisten Parteien wagen es nicht, das während des Austrofaschismus 1933 beschlossene Konkordat in Frage zu stellen. Sie fürchten, eigentlich zu Unrecht, die Stimmen der Formalkatholiken zu verlieren.
Scheinheiligkeit und Doppelmoral
Diese, selbst in akademischen und in höchsten politischen Kreisen übliche Scheinheiligkeit und Doppelmoral, zeigt folgendes Beispiel. Nachdem der gelernte Zahntechniker Strache seine unmoralische Ideologie den Blindesten persönlich offenbarte, behauptete Bundespräsident Van der Bellen: „ So sind wir Österreicher nicht!“ Abgesehen von dieser unhaltbaren Generalisierung bleibt die Frage bestehen, wie wir eigentlich sind. Sicher sind wir nicht alle wie der Ex-Vizekanzler, aber immerhin haben ihm noch nach dem Skandalvideo fast 45.000 von uns eine Vorzugsstimme für das EU-Parlament gegeben. Wie sind wir eigentlich? Von den inzwischen nur mehr 61 % Vorarlberger Katholiken sind wenigstens 80% Taufscheinkatholiken. In Österreich gibt es mit dieser Einstellung ca. 2,8 Millionen. Sie sind gesellschaftlich angepasst, opportunistisch und weltanschaulich inkonsequent. Bis auf wenige Ausnahmen sind selbst in meinem Verwandten-, Bekannten- und Freundeskreis, davon auch viele Akademiker, solche Taufscheinleichen, die Glaubenslehren ablehnen oder daran völlig desinteressiert sind, falls sie diese überhaupt noch kennen.
Van der Bellen als klassisches Beispiel eines Pseudochristen
Dieses zwiespältige und inkonsequente Verhalten zeigt sogar Bundespräsidenten Van der Bellen. Er reagierte zwar vernünftig in der prekären politischen Situation nach dem Skandal auf Ibiza. Van der Bellen ist aber ein klassisches Beispiel eines Pseudochristen. Vor kurzem ist er wieder in die Evangelische Kirche A.B. eingetreten. In der Jugend sei er aus Ärger über einen lokalen Pastor ausgetreten, nun aber wegen der so wichtigen Botschaft des Neuen Testaments wieder eingetreten. Sowohl die Begründung für den Austritt als auch für den Eintritt sind eines Intellektuellen unwürdig. Eine Religion zu verlassen, weil einem dort ein lokaler Vertreter nicht passt, ist eventuell wegen seiner damaligen Jugendlichkeit verzeihlich. Als Akademiker im Alter von 75 Jahren aber „Die frohe Botschaft des Neuen Testaments“ als Eintrittsgrund anzugeben, ist an Einfalt und Unwissenheit kaum mehr zu überbieten.
Abgesehen von hunderten konträrer und kontradiktorischer Widersprüche des NT und der vielen religiösen Schriften mit ihrem irrationalen Absolutheitsanspruch, haben Exegeten umfassend belegt, dass das NT dem AT in keiner Weise an Inhumanität, Brutalität und Sadismus nachsteht. Zweiflern an dieser Behauptung sei dringend das letzte Buch des NT, die Apokalypse, als Lektüre empfohlen. Zu den häufigen, zu Recht erhobenen Appellen unseres Bundespräsidenten an die Vernunft, sei daran erinnert, dass er in jene Religion zurückgekehrt ist, deren Gründer Martin Luther erklärt hat: „Die Vernunft ist die größte Hure des Teufels!“[5] Mit dem Bundespräsidenten haben die Pseudochristen ein zwar hochrangiges und fragwürdiges, allerdings typisches Vorbild.
Die Pseudoargumente der Taufscheinchristen
Fragt man diese Formalchristen, warum sie bei der Kirche bleiben, obwohl sie die Institution und deren Glaubenslehren ablehnen, oft auch absurd finden, ist die Reaktion betretenes Schweigen oder man bekommt unhaltbare Argumentationen zu hören. Viele sind von der Frage peinlich berührt und verweisen darauf, diese berühre ihre Privatsphäre.
Die häufigste Ausflucht der Taufscheinheiligen und längst nicht mehr vertretbare Ausrede lautet: „Man müsse Kinder taufen, das Sakrament der Firmung spenden und in den Religionsunterricht schicken, sonst mache man sie zu Außenseitern. Es sei Kindern nicht zumutbar, auf kirchliches folkloristisches Brauchtum, auf die Sakramente der Eucharistie und der Firmung zu verzichten.“ Diese Argumente beweisen höchstens die Doppelmoral und pädagogische Phantasielosigkeit solcher Eltern. Die Unfähigkeit, den eigenen Kindern ein freudigeres Fest zu gestalten als die inhumane Zeremonie, bei der ein dummer Bischof (Karl Rahner: „Wer wollte behaupten, dass es das nicht gibt“) einen Backenschlag andeutet, ist erbärmlich. Die Eltern erziehen ihre Kinder zu Individuen opportunistischer Angepasstheit, nämlich, der Ideologie einer Institution anzugehören, obwohl man diese mental ablehnt und sich auch nicht an deren Normen hält.
Perverse Drohung mit ewigen Höllenstrafen
Die meisten Argumente der formalen Katholiken sind allgemein übliche und sinnlose Phrasen wie, man muss an etwas Höheres glauben, sonst hätte der Mensch keinen moralischen Halt. Davon, dass die Wende vom finstern christlichen Abendland zu der großartigen Entwicklung des heutigen Europa geführt hat, eingeleitet vom Philosophen René Descartes mit dem Prinzip „Du sollst an allem zweifeln!“, haben sie im Religionsunterricht natürlich nicht gehört, stattdessen die perverse Drohung mit ewigen Höllenstrafen des Wanderpredigers Jesus: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet werden, wer nicht glaubt, wird verdammt werden.“ (Mk. 16,16)
Die Folgen des Desinteresses und der Angepasstheit der vielen Formalkatholiken sind augenscheinlich. Das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien 2013 erreichte bis dahin von allen die geringste Zahl an Unterstützungserklärungen, nämlich 0,89 %. Dieses Verhalten ist die Ursache für das Weiterbestehen dieser unehrlichen Situation.
Unsere Gesellschaft ist nun immer intensiver mit dem politischen Islam konfrontiert. Tagein, tagaus sehen wir bei vielen islamischen Frauen die Folgen dieser patriarchalen, frauenunterdrückenden Religion, die eine ernste Gefahr für die Demokratie ist.[6] (Artikel74) Die Lösung ist ein gegenüber Religionen indifferenter Staat und eine klare Trennung. Der Staat schafft aber keine Religionen ab, sondern er schützt das Recht des Individuums, jeden Nonsens zu glauben, solange er nicht Gesetze verletzt.[7] Finanziert gehören Religionen nur wie NGOs oder Vereine, soweit sie der Gesellschaft dienen.[8]
Die angepassten Formalkatholiken werden sogar von der eigenen Ideologie angegriffen. „So will ich dich, weil du lau, weder kalt noch warm bist, ausspeien aus meinem Munde.“ Off. 3,16
Themenbezogene Literatur:
- Michael Schmidt-Salomon, Manifest des evolutionären Humanismus, Verlag Alibri, 2018
- Peter Sloterdijk, Nach Gott, Suhrkamp 2017
- Phillip Möller, Gottlos glücklich, Verlag Fischer, 2017
Quellen:
[1] Rudolf Langthaler, in „Der Standard“ vom 20.05. 2019, S. 44
[2] Hubertus Mynarek, Herren und Knechte der Kirche, Ahrima-Verlag, 2010
[3] Vgl. Rudolf Langthaler, in „Der Standard“ vom 20.05. 2019, S. 44
[4] Vgl. Peter Sloterdijk, Nach Gott, Suhrkamp 2017, S.288
[5] In einer seiner letzten Predigten in Weimar, wenige Wochen vor seinem Tod
[6] Nina Scholz, Heiko Heinisch, Alles für Allah, Molden Verlag 2019
[7] Horst Dreier, Staat ohne Gott, Verlag C.H. Beck 2018, S. 9-17
[8] Niko Alm, Ohne Bekenntnis, Residenz Verlag 2019, S. 208 ff
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