Hannah Arendts Freiheitsbegriff hat mit der Festung nostalgischer, unerreichbarer Freiheitsversprechen nichts zu tun. Auch nicht mit der Frage: Wer hat die bessere Show? Den mitreißenden Auftritt? Donald meint (unter dem Beifall seiner Gläubigen), er sehe besser aus als Kamala. Klüger, sympathischer sei er sowieso.
Von Dr. Albert Wittwer
Die österreichischen Spitzenkandidaten führen TV-Duelle nach US-Vorbild. Mit einem der frechsten at-Demagogen der zweiten Republik. Haider schau oba. Armer (Noch)-Kanzler.
Warum müssen wir da mitmachen? Wollen wir wirklich von den Politikern unterhalten werden? Dann sollten wir Taylor Swift zum Präsidenten wählen? Ach so, die will nicht. Die Gage ist zu mickrig. Dennoch: Für die Unterhaltung, Verzeihung Verwirrung, Einlullung, Betäubung sind doch die Fußball-Stars, Abfahrtslaufhelden, Pop-Größen zuständig, reklamegesponsert. Wir kaufen dafür, was auf dem T-Shirt oder der Stadionwand plakatiert wird. Dann sind wir auch Spitze. Es ist erkennbar, zu welchem Stamm wir gehören, im Stil der derweil unvermeidlichen Kappenaufschrift etwa „XY first“.
Am Rande: Niemals käme ein ATX- oder DAX-Konzern auf die Idee, das Spitzenpersonal in Rededuellen zu beschämen, auszuwählen. Vom Rededuell zu unterscheiden ist der offene Diskurs. *)
Ob der amtierende Präsident stottert oder Namen verwechselt ist ziemlich egal. er hat idealerweise einen Stab hervorragender Persönlichkeiten um sich geschart, die die wichtigen Entscheidungen vorbereiten oder durchführen. Oder – wie zweimal im Falle befohlener Atom-Schläge von Offizieren der damaligen UdSSR oder dem Nazi-General, der Paris zerstören sollte – verweigern. **) Zivilcourage sogar in einem extrem repressiven System. Sie lebt.
Allerdings scharen die schwiegersohntauglichen Parvenüs und Scharlatane und die langjährigen Diktatoren diskursfeindliche Ja-Sager um sich und sie entmündigen den öffentlichen Rundfunk und bestechen die Medien. Darum dürfen wir sie nicht wählen. Sonst werden wir bestenfalls mit Einmalboni gepampert und geistig verelendet. Darum sind unabhängige Parlamente von großer Bedeutung, um die Dominanz der omnipräsenten Präsidenten zu kompensieren. Und die Parteiprogramme auf die sich die Fraktionen festlegen (sollten).
Die Kognitionswissenschaft hat längst bewiesen, dass Gruppen die besseren Entscheidungen treffen als Einzelpersonen. Im politischen Diskurs, nicht im Adlerhorst***) entstehen die tragfähigen, richtigen Antworten.
Nach Hannah Ahrendt verhindert die Verelendung, die Armut, politische Freiheit. Sie schrieb, „für das Glück und Wohlergehen des Volkes … war eine aufgeklärte, despotische Regierung womöglich besser geeignet als eine Republik.“ Ich fürchte, das glauben heute auch die Anhänger der gelenkten Demokratie. Sie sollen meist wissenschafts-skeptisch und Hausverstands-affin und nostalgisch sein. „Vor Corona, den Klebern, den Asylwerbern etc. war alles besser.“
Denn die Beteiligung an der politischen Meinungsbildung und Abstimmung ist fordernd, das Kandidieren für integere Personen finanziell nicht lohnend. Warum sollten wir dann selber lesen und mitreden, da internetblasengespeiste Feindbilder und Pseudoinformationen und eine unendliche Abfolge von Entertainment, Freundschafts-Blogs, Gaming, Sportevents so viel klarer sind als die gefährlich komplexe, lästige, reale Welt?
Aber die wahre Freiheit ist mehr als behaust und ernährt: Nach Hannah Arendt besteht Freiheit erst nach der Sicherung der Lebensnotwendigkeiten in der Teilhabe und Mitwirkung am öffentlichen Raum.
Anmerkungen:
- Hannah Arendt: Die Freiheit, frei zu sein. Dtv. 2023
- *) Zur Entscheidungsfindung: Sir Francis Galton: Wisdom of the Crowd; Simon Asch: Groupthink; Delphi-Methode u.a.
- **) Dietrich von Choltitz 1944, Wassili Archipow 1962, Stanislav Petrow 1983
- ***) Adlerhorst, Adlernest, Hitlers Hochsitz in Berchtesgaden. Führungsbunker: