Was ist aus der Kunst des Whistleblowens geworden? Assange und Snowdon mussten noch nach London und Moskau ins Exil, so schrecklich und für die Supermacht zerstörerisch waren die Geheimnisse, die sie unter ihrem Klarnamen verrieten. Immerhin leben sie noch, was für manche Moskauer Whistleblower nicht zutrifft. Vielleicht treffen sie dort im Hotel Moskwa sogar den Österreicher Marsalek?
Von Dr. Albert Wittwer
In Österreich gibt es eine Art Zeugenschutzregelung. Der Verräter deklariert sich nach dem Hinweisgeberinnen-Schutzgesetz und seine Identität wird nicht bekanntgegeben. Die Whistleblower-Einrichtung, beruhend auf einer EU-Richtlinie, ist für die allfälligen Maßnahmen auf Grund der Geheim-Informationen verantwortlich.
Damit endet bereits meine Sympathie für Anonymität. Besonders peinlich und zerstörerisch erscheint mir die Anonymität im Netz, meist euphorisch als Grundrecht der digitalen Identität bezeichnet. Ich weiß, ich bewege mich hier auf dünnem Eis. Alle selbsternannten Datenschützer fürchten sich schrecklich vor der Polizei oder den Gerichten des Rechtsstaates, die könnten „vorsorglich“ Profile anlegen. Diese Sorgen haben die Chinesinnen, Iranerinnen und die Russen nicht. Dort ist alles schon erledigt.
Ich Banause habe vergnügt das Digitale Amt und „meine Sozialversicherung“ installiert. Die Hotel-Unterkünfte suche ich zwar auch auf Portalen, die – man denke – 27 % der Rechnungssumme für ihr Service abkassieren. Aber ich reserviere dann heimlich, vom „Buchungsservice“ unbemerkt, am Telefon.
Wenn es eine rechtliche Regelung braucht, um falsche, diffamierende, geschäftsschädigende Bewertungen nachvollziehbar auf eine schimpfende Person zurückverfolgen zu können, ist es hoch an der Zeit, sie einzuführen. Offenbar richten anonyme Beschimpfungen im Netz für Gastronomen und andere Unternehmen existenzbedrohende Schäden an.
Eine Lüge, eine Beschimpfung im analogen Leben kann einen Straftatbestand erfüllen. Warum soll das im Netz anders sein? Sie und ich brauchen diese Art der Narrenfreiheit nicht! Wir können in Bezug auf Rezensionen dazu stehen, was wir posten.
Wem können wir vertrauen? Der „Wie werde ich sofort reich – Beratung“ oder dem Must-Have-Schnäppchen-Portal auf Social media? Ein kleineres Unternehmen, für das ich noch Verwaltungsarbeiten mache, erhält etwa dreimal wöchentlich großartige Angebote von Fantasieadressaten, wie man nie mehr arbeiten muß. Ein angebliches Portal der österreichischen Post verspricht uns umfangreiche, wertvolle Sendungen zustellen, wenn wir vorab eine bescheidene Gebühr entrichten. Auf den ersten Blick lästiger ist es, wenn gedroht wird, unsere geheimen pornografischen Fotos zu veröffentlichen, es sei denn, wir zahlen zweitausend Euro in Bitcoins. Gut, daß es keine Fotos gibt! Dann aber füllt sich der Email-Posteingang mit dreihundert Spam-Mails. Ich mußte lernen, wie man diese mit der Funktion „Regel erstellen“ in fünf Minuten aussortieren und löschen kann. Unfreiwilliges Gehirn-Jogging.
Vor lauter digitaler Kompetenz hat die österreichische Regierung für solche Kleinigkeiten keine Zeit. Allenfalls bremst man die Bemühungen der Europäischen Union, die würden dem Wirtschaftsstandort schaden! Vielleicht eher dem Standort Wien für die wiedererwachte, unbehelligte Ostblock-Spionage-Szene.
Anmerkung:
„Erst allmählich macht sich das Bewusstsein breit, daß die digitale Sicherheit ebenso geschützt werden muß wie der reale Raum und daß der Kampf gegen die Desinformation auch als staatliche Aufgabe zu begreifen ist. „ Ulrich Schnabel in „Zusammen“, Aufbau Verlag 2022, S. 200.