Wenn Nikolaus Netzer über seine Arbeit spricht, leuchten seine Augen. Es ist dieselbe Mischung aus Leidenschaft, Hingabe und feinem Humor, die ihn seit Jahrzehnten antreibt – ob am Dirigentenpult, im Orchestergraben oder als Direktor einer der traditionsreichsten Musikschulen Vorarlbergs. Wer ihn erlebt, merkt rasch: Dieser Mann lebt Musik nicht nur, er vermittelt sie mit ganzem Herzen.
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Seit 2009 steht Netzer an der Spitze der Musikschule Feldkirch, der ältesten Musikschule Vorarlbergs, gegründet 1888. Eine Aufgabe, die ihm gewissermaßen zufiel – und die er heute als „Geschenk“ bezeichnet. Damals rief der Stadtamtsdirektor an und fragte, ob seine Jahre zurückliegende Bewerbung noch gelte; Netzer selbst konnte sich kaum mehr daran erinnern. Doch er spürte: Jetzt ist die Zeit reif.
Dabei war seine Karriere auf einem ganz anderen Weg unterwegs. Netzer, in der Blasmusik groß geworden, studierte Posaune, Klavier und später Dirigieren. Er unterrichtete in Innsbruck, arbeitete am Theater Ulm – wo schon Herbert von Karajan begann – und dirigierte später am Tiroler Landestheater unter Brigitte Fassbender. Sein Weg führte ihn durch Orchestergräben, Opernhäuser und Konzertstätten, bis er sich entschied, den Kompass neu auszurichten: zurück zur pädagogischen Arbeit, zurück zu den Kindern, zurück zur gesellschaftlichen Wirkung von Musik.
Heute führt er ein Haus, das jährlich rund 1700 Schüler erreicht – und dessen Klang weit über Feldkirch hinausstrahlt. Im Reichenfeld hört man in jedem Stockwerk andere Instrumente; die Schule ist ein lebendiges Biotop für musikalische Entwicklung. Besonders bekannt ist das große Klangfest, das aus dem „Tag der offenen Tür“ hervorging – ein bewusst lautes, fröhliches Zeichen nach der Corona-Stille, bei dem hunderte Menschen musizierend, grillend und miteinander feiernd das Gelände beleben.
Netzer betrachtet die Musikschule nicht nur als Bildungsanstalt, sondern als sozialen Raum, in dem kulturelle Teilhabe Realität wird. Kooperationen mit Volksschulen sorgen dafür, dass jedes Kind in Feldkirch zwei Jahre lang verpflichtend Kontakt mit Musik hat – unabhängig von Herkunft oder sozialen Voraussetzungen. Ein muslimischer Vater mit vier Töchtern brachte es laut Netzer einmal auf den Punkt: Musik habe seinen Kindern Türen geöffnet, von denen er nie zu träumen wagte.
Doch Netzer wäre nicht Netzer, wenn er nur auf einem Gleis fahren würde. Noch immer schlägt sein Herz für die Bühne. Seit 2006 ist er künstlerischer Leiter und Intendant des Musiktheaters Vorarlberg. Dort hat er ein Ensemble geschaffen, das wie eine große Familie funktioniert – ein Wiedersehen im Herbst, wie andere es in Berghütten erleben, nur eben mit Partituren und Bühnenstaub. Junge Sänger finden hier ein Sprungbrett, etablierte Stimmen kehren als „Mikey kommt wieder heim“-Momente zurück.
Für viele stellte sich die Frage: Wie passt das alles zusammen – Schule und Theater, Kinder und Oper, Verwaltung und Kunst? Bei Netzer verschmelzen diese Welten. Er sucht die Verbindung, nicht die Trennung. Er fördert Nachwuchs, modernisiert Strukturen, öffnet Türen zur Oper für Kinder wie Erwachsene und denkt gleichzeitig darüber nach, das Image der Oper neu zu erfinden – weg vom steifen Sitzen, hin zum geselligen Erleben, wie es einst im Barock üblich war.
Vielleicht ist es genau das, was seine Arbeit auszeichnet: Netzer will nicht nur musikalische Bildung vermitteln, sondern Begeisterung, Lebensfreude und Teilhabe. Unter seiner Leitung ist die Musikschule Feldkirch bunter, offener und vielfältiger geworden. Und er selbst – ein Dirigent mit Herz, Visionen und einem untrüglichen Gefühl für Menschen – sorgt dafür, dass Musik in Feldkirch nicht nur gehört, sondern erlebt wird.
Factbox: Nikolaus Netzer
Geburtsort & musikalische Wurzeln:
– Musikalisch sozialisiert in der Harmoniemusik Schruns
Studium:
– Posaune und Klavier (Lehramt)
– Diplomstudium Dirigieren
Karriere (Auswahl):
– Unterrichtstätigkeit an der Musikschule Innsbruck
– Chordirektor und Dirigent am Theater Ulm (ab 2001)
– Dirigent am Landestheater Innsbruck
– Künstlerischer Leiter „Montafoner Sommer“ (2004–2014)
– Direktor der Musikschule Feldkirch seit 2009
– Intendant und künstlerischer Leiter des Musiktheaters Vorarlberg seit 2006
Musikschule Feldkirch:
– Gegründet 1888
– Rund 1700 Schüler, 56 Mitarbeitende
– Starke Volksschulkooperationen: Jedes Feldkircher Kind erhält zwei Jahre Musikunterricht
– Ensembles: u. a. drei Jugendstreichorchester
– Bekannte Großveranstaltung: „Klangfest“ im Reichenfeld
Visionen & Schwerpunkte:
– Musik als gesellschaftliche Teilhabe
– Integration durch Musik
– Nachwuchsförderung im Bläser- und Musiktheaterbereich
– Aufbau neuer Kinder- und Jugendprojekte im Opernbereich











