Unser schönes, reiches Nachbarland ist immer für eine Überraschung gut.
Von Dr. Albert Wittwer
Während Österreich und die EU die Klimaziele etwas aufweichen – in der EU soll der CO2-Preis für Tanken und Heizen um ein Jahr verschoben werden – hat uns das Kantonsgericht Zug ein vorweihnachtliches Geschenk gemacht. Es hat eine Klimaklage von vier Fischern der indonesischen Insel Pari zugelassen. Die Klage richtet sich gegen Holcim, den weltweit größten „Zementerzeuger“.
Die Menschen der Insel Pari lebten bis vor wenigen Jahren von der Algenzucht. Die Algen konnten an die Pharmaindustrie verkauft werden. Jetzt ist das Meerwasser für die Algen zu warm. In den letzten fünf Jahren hat die Insel zehn Meter des Strandes durch den Anstieg des Wasserpegels verloren. In zwanzig Jahren wird die Insel komplett überschwemmt sein, wenn sich nichts ändert. Der Tourismus geht wegen zu kleiner Strände und immer heftigeren Gezeiten zurück.
Freilich leiden auch andere Menschen unter der Klimaveränderung. Ich möchte hier nur an die Zunahme von Hitzetoten in den europäischen Städten erinnern. Und die Zementerzeugung ist nicht der einzige, wenn auch sehr prominente „Klimaschädling“.
Für den Weltkonzern Holcim, er könnte sich überall niederlassen, ist sicher der sehr niedrige Gewinnsteuersatz von 11,8 Prozent von Bedeutung. Und die Rechtssicherheit, die die Schweiz, freilich auch etwa Österreich bietet, ist jener der Caymans oder Panamas überlegen. Dennoch sind die knapp zwölf Prozent eine Menge Geld für Zug.
Wie kommt es dazu, dass ausgerechnet das Kantonsgericht im reichen, kleinen Kanton Zug diese Klage zulässt? Welcher Mut hat die Kantonsrichterin, den Kantonsrichter beflügelt? Wie eindrucksvoll beweist damit die Schweizer Justiz ihre Unabhängigkeit von Regierung, Geld und Macht? Dazu kann ich nur spekulieren. Der Richter geht vielleicht sowieso in Pension, will nicht mehr ins Bundesgericht berufen werden? Das Urteil wird jedenfalls in den Lehrbüchern und Judikaturverzeichnissen auftauchen.
Die Entscheidung wird weltweit in den Zentralen gelesen, das weitere Justizverfahren akribisch verfolgt, möglicherweise ändern sich bereits dadurch die Konzernstrategien zum Klimabesseren, nicht nur beim Zement.
Jedenfalls eine gute Nachricht zu Weihnachten.
Anmerkungen:
Nach dem Schweizer Deliktsrecht ist es verboten, die persönliche Integrität zu verletzen. Das geschieht im Gegenstandsfall nach der Klagsbehauptung durch Unterlassen angemessener und möglicher CO2-Reduktionen bei der Produktion.
Mit einem effektiven Gewinnsteuersatz von 11,85 % gehört Zug zu den günstigsten Kantonen der Schweiz. Vgl. Österreich: Körperschaftssteuer immerhin 23 %, etwas teurer die KESt für Kleinsparer 25 %.
„Parteien können das Urteil dieses Gerichts … zuerst ans Bundesgericht in Lausanne weiterziehen und später auch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg. Erst, nachdem die Klage rechtskräftig zugelassen würde, kann auch die Frage geklärt werden, ob Holcim bezahlen und seine CO₂-Massnahmen verschärfen muss. Der Fall wird die Gerichte – und auch die Öffentlichkeit – also noch Jahre beschäftigen.“
Die Bundesrichter für das höchste Gericht der Schweiz werden von der Bundesversammlung bestellt.
