Ein letztes Mal werden hier Kindheitserinnerungen an die französische Besatzungszeit geteilt: Nach den Zeitzeugenberichten von Helmut Marent, Hilde Wachter und Reinold Koch in den vergangenen Wochen wird nun noch einmal beleuchtet, was es bedeutete, unter Besatzung aufzuwachsen.
Von Claudia Wachter
Einmarsch der französischen Besatzer
„Als der Krieg vorbei war, kamen die Franzosen und die Marokkaner nach Bürs und auf dem großen Platz vor der alten Schule sind über dreißig Panzer aufgestellt worden, die zuvor im ganzen Dorf umhergefahren waren und Felder zerstört hatten“, erzählt Edwin Wachter, welcher am 25. Juni 1939 in Bürs geboren wurde. Dies traf die Bevölkerung besonders hart, denn die auf diesen Feldern angebauten Gräser hätten sie für Tiernahrung benötigt. Einen guten ersten Eindruck hinterließen die französischen Besatzungssoldaten bei Wachter also nicht.
Erfahrungen mit der Besatzungsmacht
Auch positive Erinnerungen an die Besatzer hat Edwin Wachter keine: Die Besatzungssoldaten nahmen sich, was sie wollten. „Man sah halt, wie sie in Bürs jenen, die eine Landwirtschaft hatten, das Kleinvieh aus dem Stall holten. Ich weiß noch genau, wie man das Schwein aus dem Stall holte; das Schwein wollte nicht und dann hat man es schon im Stall zusammengeschlagen und dann so herausgezogen.“ Im Anschluss wurden die Schweine neben einer Kapelle aufgehängt und öffentlich geschlachtet – dies blieb dem Bürser als traumatisches Erlebnis in Erinnerung. Auch die Hühner seiner Familie wurden von Besatzungssoldaten abgeschossen, was für sie besonders schlimm war, da ihnen nicht nur das Fleisch der Tiere, sondern auch die Federn fehlten, welche sie für Kopfkissen brauchten. Als kleiner Junge musste er dann zu den französischen Offizieren gehen, um die benötigten Federn wieder zurückzuerlangen.
Ausnahmesituation Besatzungszeit: Von Diebstahl, Nachbarschaftshilfe und kreativen Problemlösungen in Zeiten von Mangel
Eines Tages fand Wachter beim Spielen im Wald mehrere Uniformen, welche Soldaten aus Angst vor einer Gefangenschaft dort hatten verschwinden lassen. Nachdem er diese Fundstücke seiner Mutter nach Hause gebracht hatte, wurde der braune Stoff schwarz gefärbt und im Anschluss zu einem Schneider nach Bludenz gebracht, der daraus einen Erstkommunionsanzug für den Jungen nähte. Der Bürser fügt gerührt hinzu: „Das [heutige] Sozialzentrum, welches früher Armenhaus hieß, wurde von den Barmherzigen Schwestern geführt. Wir haben nebenan gewohnt und meine Mama gab den Schwestern immer Eier von unseren Hühnern und dafür gaben sie mir zu meiner [Erst-]Kommunion eine Torte – wir waren die Einzigen, die zur [Erst-]Kommunion eine Torte hatten.“
Als Bauernkind vom Dorf musste Wachter nicht viel Hunger leiden, erlebte aber, dass es nicht allen so wie ihm ging: Seine Familie hatte in Grenznähe zur Stadt Bludenz einen Kartoffelacker. In der Nacht geschah es dann des Öfteren, dass Bewohner von Bludenz kamen und einige Kartoffeln stahlen, da sie selbst nicht die Möglichkeit hatten, Nahrung anzubauen und deswegen hungern mussten.
Zusammenspiel von Schule, Arbeit und Kirche
In der Vorweihnachtszeit wurde täglich in der Früh Messe gefeiert und an alle Schüler, die anwesend waren, wurden kleine Bilder ausgeteilt, welche später im Religionsunterricht vom Pfarrer kontrolliert wurden – als Beweis für ihre Teilnahme an der Messe. Weil Wachter morgens vor der Schule im Stall oft Arbeit verrichten musste, konnte er diesen nicht häufig beiwohnen. Bei der Kontrolle der Bilder zeigten sich seine Klassenkameraden aber hilfsbereit und gaben dem Jungen ihr Bild weiter, nachdem der Pfarrer sie bereits kontrolliert hatte – dennoch erhielt Wachter wegen seiner Abwesenheit vom Geistlichen des Öfteren Schläge.