Von M. Randler
Es war ein unwürdiges Spektakel, dem sich die Amerikaner in der Nacht zum Mittwoch aussetzten. Viel an den längst schon festgezurrten Meinungen wird das Duell der beiden Kontrahenten am Wahlverhalten nicht geändert haben. An jenem der überzeugten Trump-Fans schon gar nicht, für welche dessen Vergleich von 2016 heute genauso gilt, wie vor den letzten Wahlen:
“I could stand in the middle of Fifth Avenue and shoot somebody and I wouldn’t lose any voters”
Auch dieses Jahr werden die Swinging States das Zünglein an der Waage bilden. Trump scheint noch nicht einmal in Erwägung zu ziehen, irgendwelche erweiterten Wählersegmente anzuvisieren, als jene, die er dort in der Tasche zu haben glaubt.
Ob er mit dieser jüngsten Demonstration ungehobelter Rüpelhaftigkeit und realitätsfernem Eigenlob ausserhalb seiner Kernzielgruppe punktet, ist ihm vollkommen egal: Die an ihn glauben, glauben an ihn. Und überhaupt scheint sich der Amtsinhaber so oder so schon auf einen knappen Wahlausgang einzustellen und verweigert jedes Bekenntnis zu einem geordneten und friedlichen Übergang.
„Tu was Du immer tust und Du wirst kriegen, was Du immer gekriegt hast.“, scheint Trumps Devise zu sein. Beim letzten Mal gab´s für dieselbe plump-ruppige Art schließlich auch schon den Hauptgewinn: das Präsidentenamt.
Aber was springt für Biden bei dieser Art „Debatte“, die wirklich nur in Anführungszeichen so genannt werden kann, heraus?
Die Umfragen sehen dem Demokraten (man reibt sich die Augen!) tatsächlich bloss hauchdünn als Sieger dieser Nacht der Gesprächskultur. Eine große Anzahl Amerikaner war nur angewidert von diesem Zirkus des Niedergangs: Was ist bloss aus der Nation geworden, die einst für hochstehende politische Diskurse bekannt war?
Mich lässt die folgende Frage seither nicht los:
Was wäre passiert, wenn sich Biden diesem Treiben verweigert und mittendrin abgebrochen hätte? Also wenn der Demokrat – spätestens nach der dritten oder vierten groben Unterbrechung, oder zumindest nachdem bereits der Moderator ganz unstaatsmännisch von Trump angepampt wurde – einfach gegangen wäre und diesen Präsidenten hätte stehen lassen?
Man stelle sich vor, Joe Biden hätte ganz ruhig seine Papiere geordnet, sie zurecht geklopft, sich anschliessend aufgerichtet und den Zuschauern nur noch knapp erklärt, wieso er die Manege nun frühzeitig verlasse:
Seine Wähler wüssten sowieso, was er ihnen biete, denn (im Gegensatz zum Amtsinhaber) verfüge er tatsächlich über ein Programm. Der aktuelle Präsident könne oder wolle dies offenbar gar nicht ernsthaft debattieren. Er, Joe Biden, wolle nicht dazu beitragen, dass die Würde des Amtes auch nur eine einzige Minute weiter Schaden nehme und werde sich daher nun verabschieden.
Was wäre das für ein Paukenschlag gewesen!
Hätte ein derart sensationeller Abgang Biden geschadet? Hätten ihm potentielle Anhänger dann vorgeworfen, er kneife?
Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber als alter Freiwasser-Schwimmer weiss ich: Grösseren Abwärtsstrudeln sollte man sich gar nicht erst annähern.
Und als alter Werber weiss ich: Nichts ist derart wichtig, als ein plakatives, klares Unterscheidungsmerkmal. Stil ist eines der Wichtigsten überhaupt.
Joe Biden ist geblieben. Er hat sich der Flut an Nonsens, Unterstellungen und unwahren Behauptungen so gut es ging entgegen gestellt. Doch damit hat er diesem Präsidenten zugleich ermöglicht die eignen Fans in ihren Gewissheiten, in ihrem Glauben, in ihren Fantasien zu bestärken.
… Bis hin zu jener höchst alarmierenden Aussage zu gewalttätigen White Supremacists, gegenüber denen sich der Präsident in keiner Weise zu einer deutlichen Distanzierung durchringen konnte. Er klang in verstörender Weise sogar wie ihr Chef, der ihnen per TV-Debatte Anweisungen erteilt, als er sie wissen ließ:
„Proud Boys, stand back and stand by…“!
Schade, hat Biden es nicht gewagt, dieser unwürdigen Show den Stecker zu ziehen.