Von Dr. Albert Wittwer
Die guten Nachrichten zuerst:
Es geht uns nicht etwa die Arbeit aus. Es ist nur die traditionell bezahlte Arbeit. Die Luft ist sauberer, der Himmel klarer, der Lärmpegel ging zurück, der Verkehr ist weniger hektisch.
Die schlechte Nachricht: Es braucht Wirtschaftswachstum, um zu Vollbeschäftigung zurückzukehren.
Zwei Thesen:
Der Schutz der Umwelt, der Natur, des Klimas zwingt uns, die Summe der verfügbaren Güter und Dienstleistungen zu reduzieren oder klimaneutral zu produzieren.
Für die Deckung der menschlichen Bedürfnisse durch marktfähige Produkte und Dienstleistungen ist zufolge der fortschreitenden Automatisierung immer weniger bezahlte, menschliche Arbeit erforderlich.
Täglich berichten die Qualitätsmedien, daß die Wirtschaft der europäischen Länder um etwa zehn Prozent einbricht. Also kein Wirtschaftswachstum sondern Rezession, Wirtschaftskrise. Zugleich orakeln die Wirtschaftswissenschafter, es werde nach der Durchimpfung eines fernen Tages, in der dann erreichten Herdenimmunität, keine Rückkehr zu Business-As-Usual geben.
Die Einschränkungen im Konsum, die uns durch Geschäftsschließungen und Einkaufsbeschränkungen aufgezwungen wurden, waren für die finanziell Abgesicherten erstaunlich schmerzlos. Das Konsum-Fasten hat unsere Lebensqualität nicht beeinträchtigt. Aber der zweifellos auch dadurch entstandene Verlust von Arbeitsplätzen wird nicht aufholbar sein. Manche Betriebe werden für immer schließen. Flugrouten für immer wegfallen. Flugzeuge verschrottet. Die traditionell bezahlte Arbeit wird auch aus anderen Gründen weniger, v. a. wegen der fortschreitenden Automatisierung, der KI (künstlichen Intelligenz), der allgegenwärtigen Algorithmen. Einige Beispiele: Züge fahren führerlos. Die juristische Literatur und Judikatur wird vom Programm durchgekämmt und das liefert auch gleich den Textvorschlag für den Schriftsatz. Der Kreditantrag an die Bank wird vom Algorithmus verweigert. Rentiert sich bei einem Arbeitssuchenden eine Umschulung? Das Programm verneint, der Sachbearbeiter, der genehmigen will, gerät in Begründungszwang.
Wie werden wir uns gesellschaftlich orientieren? Halten wir es aus, wenn die Erwerbs-Arbeit als bestimmender Faktor gesellschaftlicher Positionierung knapper wird?
Die massiven staatlichen Interventionen haben uns vor Augen geführt, daß das real existierende Wirtschaften keine Naturgesetzlichkeit, keinen kosmischen Plan erfüllt. Es ist von gesellschaftlichen, rechtlichen Rahmenbedingungen abhängig und kulturell geprägt. Soweit ich sehe hat der Staat zu allen Zeiten die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens definiert. Mag der Neoliberalismus im politischen Sinn auch etwas anderes als Alleinseligmachend behaupten. Denken wir nur an die Prohibition (Alkohol in den USA), die Drogenpolitik (Haupteinkommen der internationalen Mafia), Waffenverkaufseinschränkungen (v.a. Europa), die Glühbirne (EU), oder als nächstes das Verschwinden der Verbrennungsmotoren im Automobil. „Warum aber ist es derart tabu, das Wachstum infrage zu stellen? Die Antwort kann nur lauten: weil diese Idee von einer ähnlich tabuisierten Aura umgeben ist wie seinerzeit die Begriffe Gott und König. Noch nie war es so offenkundig, dass weiteres Wirtschaftswachstum nur mehr Erhitzung und Zerstörung nach sich ziehen wird.“
Kann die moderne, postindustrielle Gesellschaft ohne Wirtschaftswachstum stabilisiert werden? Ich halte dafür drei Maßnahmen für notwendig: Wir brauchen erstens die Umverteilung der vorhandenen traditionellen Erwerbsarbeit und zweitens ein Einkommen für die Menschen, die bisher unbezahlte oder schlecht bezahlte Arbeit leisten und schließlich die Existenzsicherung für alle, die nicht arbeiten können – oder wollen.
Die Umverteilung ist durch deutliche Verkürzung der Normalarbeitszeit, Verknappung des Arbeitsangebotes, erreichbar. Natürlich war die Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit der letzten parlamentarischen Regierungsmehrheit ein konkurrenzverliebter Rückschritt.
Die allgemeine Neubewertung und die Bewertung der Einkommen von nicht am Arbeitsmarkt Tätigen (nennen wir sie Transfers) wird uns vor große Herausforderungen stellen.
Für die Finanzierung der Transfers gibt es – soweit ich sehe – auf länger Sicht nur zwei Wege: Aus Steuern und aus Einkünften des Staates.
Aber wird noch jemand arbeiten wollen, wenn er nicht aus Existenznot dazu gezwungen ist? Bitte beantworten Sie die Frage – für sich selbst. Oder schreiben Sie uns ein Email. Vielen Dank.
Zitat: Werner Krug