Briefe von Gerd: Lieber Perfektionismus, du Saboteur des Glücks

Es ist Dienstagabend, 20 Uhr und Briefeschreiber Gerd aus Altach widmet sich dem Thema Perfektionismus, das für ihn eng mit dem Thema Glück zusammehängt: Es gibt unzählige Ratgeber zum Glück – Hinweise, wie man sein Glücksgefühl steigern kann. Dazu muss ich jedenfalls nichts schreiben – weil es auch nicht möglich ist – ein Leben in ständigem Glück gibt es nicht – und soll es auch nicht geben. Was ich euch aber sagen will ist ein Weg, jedenfalls unglücklich zu werden – und zwar durch ein Übermaß an Perfektion.

So musst du vorgehen, um garantiert unglücklich zu werden:

Sei nie zufrieden mit dir und deiner Leistung und überlege immer, was du noch besser machen kannst. Eifere stets der idealen Figur, Fitness und Ernährung nach. Strebe nach dem perfekten Zuhause, der perfekten Familie, dem perfekten Mann oder der perfekten Frau.

Hungere dich auf dein Idealgewicht, kenne alle Liebesstellungen des Kamasutra und sei stets der perfekte Liebhaber oder die perfekte Liebhaberin. Und dazu sei ein verlässlicher Freund und perfekter Zuhörer. Kleide dich nach der neuesten, aktuellsten Mode, kaufe dir jede Menge Parfüms, damit andere nie deinen wahren Geruch kennenlernen.

Was du dabei anrichtest, wenn du immer und überall perfekt sein willst:

Du machst dir dein Leben so richtig schwer. Du hast richtig viel Stress, immer die neusten Trends zu kennen, du kannst eine Arbeit nie guten Gewissens abschließen – es könnte ja sein, dass du etwas vergessen und übersehen hast oder noch besser machen könntest.

Die Angst, etwas vergessen zu haben, lässt dich schlecht schlafen und tagsüber nicht zur Ruhe kommen. Du bist häufig unzufrieden mit dir, weil du deinen eigenen Ansprüchen nur schwer gerecht wirst.

Meine persönliche Erfahrung – und die vieler anderer: Perfektionismus, perfekt sein zu wollen, ist ein Kampf gegen Windmühlen – ihr müsst und werdet diesen Kampf verlieren, da Perfektion eine Illusion ist. Frustration, Stress, Burnout, Depressionen, körperliche Beschwerden, Überforderung und Ärger auf dich sind dir sicher.

Ich erzähle euch zum Abschluss eine kleine Geschichte,…

… etwas zusammengefasst aus dem Buch „Die Kuh, die weinte“ von Ajahn Brahm

„Ein Mönch bekam den Auftrag vom Abt eine Backsteinmauer zu erichten.  Dann erzählt er…. „Dem Außenstehenden mag Maurerarbeit leicht erscheinen: Man pappt etwas Mörtel auf den Stein, setzt ihn an seine Stelle und klopft ihn ein bisschen fest. Wenn ich aber leicht auf eine Ecke schlug, um eine ebene Oberfläche zu erhalten, stieg eine andere Ecke nach oben.

Kaum hatte ich diese auch festgeklopft, tanzte auf einmal der ganze Stein aus der Reihe. Behutsam brachte ich in ihn also wieder in die richtige Position, um gleich danach festzustellen, dass die erste Ecke schon wieder hochragte. Es war zum Verzweifeln. Wenn Sie mir nicht glauben, versuchen Sie’s doch selbst einmal!

Als Mönch verfügte ich über so viel Geduld und Zeit, wie ich brauchte. Ich gab mir also große Mühe, jeden Backstein perfekt einzupassen, ganz gleich, wie viel Zeit ich dafür benötigte. Und irgendwann war die erste Backsteinmauer meines Lebens fertig gestellt.

Voller Stolz trat ich einen Schritt zurück, um mein Werk zu begutachten. Erst da fiel mir auf – das durfte doch nicht wahr sein! -, dass zwei Backsteine das Regelmaß störten. Alle anderen Steine waren ordentlich zusammengesetzt worden, aber diese zwei saßen ganz schief in der Mauer. Ein grauenvoller Anblick! Zwei Steine hatten mir die ganze Mauer versaut.

Der Zementmörtel war inzwischen fest geworden. Also konnte ich diese Steine nicht einfach herausziehen und ersetzen. Ich ging zu meinem Abt und fragte, ob ich die Mauer niederreißen oder in die Luft jagen und neu anfangen dürfte. »Nein«, erwiderte der Abt, »die Mauer bleibt so stehen, wie sie ist.«

Als ich die ersten Besucher durch unser neues Kloster führte, vermied ich es stets, mit ihnen an dieser Mauer vorbeizugehen. Ich hasste den Gedanken, dass jemand dieses Stümperwerk sehen könnte. Etwa drei oder vier Monate später wanderte ich mit einem Gast über unser Terrain. Plötzlich fiel sein Blick auf meine Schandmauer.

»Das ist aber eine schöne Mauer«, bemerkte er wie nebenbei.

»Sir, erwiderte ich überrascht, »haben Sie etwa Ihre Brille im Auto vergessen? Oder einen Sehfehler? Fallen Ihnen denn die zwei schief eingesetzten Backsteine nicht auf, die die ganze Mauer verschandeln?«

Seine nächsten Worte veränderten meine Einstellung zur Mauer, zu mir selbst und zu vielen Aspekten des Lebens.

»Ja«, sagte er. »Ich sehe die beiden mangelhaft ausgerichteten Backsteine. Aber ich sehe auch 998 gut eingesetzte Steine.«

Ich finde die Geschichte wunderbar……und ich rate jedem von euch, euer Augenmerk auf die 998 gut gesetzten Steine in eurem Leben und im Leben der Menschen zu lenken, mit denen ihr zusammenlebt – dann lebt ihr,  eure Partner und Kinder ein gutes Leben.

In Gedanken – euer G.Ender – (Briefeschreiber) – I write not only for your smile 🙂

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