Die Schule in den Zeiten des Corona

© Bandi Koeck

Der Titel ist eine Anspielung an einen der grossartigsten Romane, die ich je lesen durfte: „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“, den der kolumbianische Literaturnobelpreisträger Gabriel García Marquez 1985 verfasst hat. Wir schreiben das Jahr 2020, der Coronavirus „Covid-19“ wurde zur Pandemie erklärt und Schule findet nur mehr als „distance learning“, also per Fernunterricht statt.

Von Bandi Koeck

„Seit vorletzten Freitag stehen die Schulen vor einer nie geglaubten Herausforderung. Wenn ich von unseren Schulen spreche, meine ich uns alle. Ihr habt die letzten Tage Grosses geleistet. Wer hätte gedacht, dass wir jemals ohne Schüler unterwegs sein werden und in so kurzer Zeit einen Fernunterricht auf die Beine stellen müssen“ schrieb kürzlich ein Schulratspräsident einer Ostschweizer Schulgemeinde an die gesamte Lehrerschaft, die sich aus Unter-, Mittel- und Oberstufenlehrpersonen zusammensetzt. „Wir haben mit den Schulleitungen eine Zwischenbilanz gezogen und ich durfte mit grosser Zufriedenheit und Genugtuung feststellen, dass ihr euch voll motiviert und uneigennützig auf die drastisch veränderte Situation eingelassen habt.“

Grosser Arbeitsaufwand

Seitdem COVID-19 alias Coronavirus auf unseren Breitengraden gelandet und zur Pandemie erklärt worden ist, hat sich vieles verändert. Das öffentliche Leben respektive das Leben, das wir bis vor Kurzem gelebt haben, ist innert kürzester Zeit zum Erliegen gekommen. Es ist eine Situation, die wir alle noch nie erlebt haben: Seit vergangenem Montag sind Universitäten, Hochschulen, Schulen und Kindergärten zu und es wird von zuhause aus gearbeitet. Ich habe gerade mit einem Lehrerkollegen telefoniert, der 60 Prozent als Lehrer im Fürstentum unterrichtet. Er sagte mir, es wäre im Moment, als ob er 200 Prozent arbeite, da er voll eingedeckt sei und der digitale Unterricht zwar sehr viele tolle Möglichkeiten böte, aber auch höchst anstrengend und zeitaufwendig sei. Er habe gestern seiner Englischklasse den Auftrag erteilt, dass sich immer zwei Schüler gegenseitig anrufen, das Handy auf Lautsprecher stellen und ein Interview in der Zielsprache führen. Anschliessend sollen sie ihm die Audiodatei vom Gespräch sowie das Skript mit den Interviewfragen schicken. Eine wirklich tolle Idee, jedoch hätten sehr viele technische Probleme gehabt und er habe Nachrichten auf allen Kanälen erhalten, sprich per E-Mail, WhatsApp, im Klassenchat und in Teams.

Netzwerk-Überlastungen

„Mit dem massiven Anstieg von Telefonaten auf das Fixnet sowie das Mobile Netz hatte vergangene Woche auch die Swisscom zu kämpfen. Aber nicht nur dieser Anbieter spürt die Auswirkungen von Homeoffice und Teleworking“ heisst es etwa seitens einer Schulhausinformatik an einer Schweizer Oberstufenschule. Auch Microsoft habe massiv Probleme mit der Office365-Umgebung. Im Moment sei dies besonders bei der Anwendung von Teams zu spüren. „In Teams läuft im Moment wenig bis gar nichts mehr. Chatnachrichten können nicht gesendet werden. Es können keine Dateien heraufgeladen oder bearbeitet werden“ schreiben  die Informatik-Experten weiter. Ihnen wären die Hände gebunden und die Abhängigkeit vom Microsoft-Konzern, der die Office365-Umgebung zur Verfügung stellt, wird sehr klar. „Wir hoffen, dass sich die Lage morgen wieder etwas normalisiert und stabilisiert.“ Gerade beim Erstellen von neuen Gruppen, beim Hochladen von Arbeitsblättern oder Tutorial-Videos musste man sehr viel Geduld aufbringen. Da die Schulschliessungen recht überraschend kamen, sind die Schulen unterschiedlich darauf vorbereitet, doch es wird aus der Not eine Tugend gemacht. Es gibt keine andere Wahl, als sich mit der Software auseinanderzusetzen und zwar alle.

Vielfältige Möglichkeiten

Die Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen, Schülern und Eltern war wohl noch nie so intensiv, denn es sind alle aufeinander angewiesen. Eltern wurden gebeten, zusammen mit ihren Kindern die Massnahmen der Regierung umzusetzen. Im jetzigen Moment sind grosse Geburtstagsfeste, Partys aller Art und auch grosse Ansammlungen auf Pausen- und Spielplätzen nicht mehr angebracht. Gegenseitige Besuche von Schülerinnen und Schülern sind heikel und sollten vermieden werden. Viele Schülerinnen und Schüler arbeiten sehr zuverlässig, einzelne nehmen es zu locker und haben mit den neuen Strukturen eher Mühe und schieben Arbeitsaufträge auf. Das Erledigen der Aufträge ist sehr wichtig, deshalb erhalten die Schüler regelmässig Auftragspakete. „Dies ist so vorgesehen, damit wir Sie zu Hause beim Erstellen einer Tagesstruktur unterstützen. Es ist nicht sinnvoll, dass Schüler an zwei Tagen alle Aufträge für die Woche abarbeiten und schliesslich die weiteren Tage ohne Auftrag zu Hause rumsitzen oder alles quasi auf den letzten Drücker erledigen. Dadurch können Probleme im privaten Umfeld entstehen“ heisst es etwa in einem Elternbrief eines Schulleiters in Oberriet. „Die Schule ist verpflichtet, Kontrolle über die erledigten Aufträge und Aufgaben zu haben. Wir bitten Sie deshalb im Rahmen ihrer Betreuung zu Hause, darauf zu achten, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Aufträge erledigen. Es ist hingegen nicht nötig als Eltern die Rolle der Lehrperson einzunehmen.“

Grosse Zusatzbelastung

Im Moment arbeiten gefühlt alle Schüler und Lehrer aus den meisten europäischen Ländern mit Office365 und nutzen die tollen Möglichkeiten, die Apps wie „Teams“ oder „OneNote“ bieten. Für Lehrpersonen ist der digitale Unterricht auf jeden Fall eine immense Mehrbelastung, ein Zeitfresser, der mitunter ins Bodenlose geht. Es wird seitens von Eltern und Schülern erwartet, dass Lehrer rund um die Uhr erreichbar sind, und zwar auf allen erdenklichen Kommunikationskanälen – am Handy, per E-Mail, SMS oder WhatsApp sowie in Office 365, wo es gleich mehrere verschiedene Benachrichtigungsfunktionen gibt, sodass alle ständig überprüft werden müssen. Es verhält sich in etwa so, als wenn eine Lehrerin die Aufgabe gab, eine Prüfung zu verbessern, und alle Schüler werfen ihr ihre Sachen einfach hin, sodass sie alles mühevoll zusammensammeln und sortieren muss. Gerade Lehrpersonen, die kleine Kinder zuhause haben, haben es im Moment recht schwer, weil diese ihnen auch alles in Sachen Betreuung abverlangen. Schlafen die Kleinen dann endlich, setzt sich der Lehrer spätabends bis spät in die Nacht an seinen PC im sog. „home office“, beantwortet Fragen von Schülern und Eltern, korrigiert und kontrolliert, bereitet für den nächsten Tag vor, wartet wieder, weil das System überlastet ist etc. „Um eine Überlastung der Lehrpersonen zu verhindern, bitten wir um Verständnis, wenn wir auf Nachrichten oder Mails ausserhalb der Schulzeiten nicht reagieren. Lehrpersonen sind angewiesen, innerhalb der Unterrichtszeiten regelmässig, jedoch nicht jede Minute, ihre Nachrichten zu bearbeiten. Am Wochenende ist die Schule geschlossen. Sie können von Lehrpersonen keine Antwort auf Mails oder Nachrichten erwarten. Diese werden am Montagmorgen beantwortet. Danke für das Verständnis“ heisst es etwa im Elterbrief des Oberstufenzentrums. Daran halten tun sich selbstverständlich nicht alle. Vergangenes Wochenende erhielt ich zwei Anrufe von Eltern und mehrere Nachrichten von Schülern.

Neue Lernumgebung

Auch die Rückmeldungen seitens der Schülerschaft sind unterschiedlich: Manche arbeiten bereits routiniert, andere haben grosse Mühe und fühlen sich überfordert, weil sie die Arbeitsaufträge nicht verstehen, auch wenn diese sehr einfach formuliert wurden, oder weil sie das Mathe-Arbeitsblatt nicht finden, ihr Passwort vergessen haben, langsames Internet zuhause oder einen schlechten Laptop haben usf. Es ist eine neue Erfahrung für uns alle und viele sehnen sich schon wieder zurück ins gewohnte Klassenzimmer und dass sie das Schulhaus besuchen dürfen. Auffallend ist im Moment auch, dass viele Schulbuchverlage Online-Lernpackages anbieten. Es entsteht der Eindruck, dass hier aus der Krise Kapital geschöpft werden will, denn fast niemand bietet kostenlose Materialien an, die meisten Anbieter verlangen Schülerlizenzen, die sehr teuer sind. Die erste Woche mit Fernunterricht ist um und für den Grossteil der Eltern war es eine unglaublich intensive Zeit. Obwohl sie von zuhause arbeiteten, mussten ihre Familien auf sie verzichten, sie verkrochen sich im Arbeitszimmer und arbeiteten Tag und Nacht, um ihren Schülern und den Eltern gerecht zu werden. Viele Eltern haben vielleicht jetzt gerade in der Krise erkannt, wie verantwortungsvoll und anstrengend der Beruf des Lehrers, der Lehrerin ist und dass Lehrpersonen tagtäglich ihr Bestes geben, damit die Kinder fürs Leben lernen. Hilfe können sich Eltern auch bei der Schulsozialarbeit holen, welche Tipps und Unterstützung gibt. Die Jugendarbeit Oberes Rheintal empfiehlt, die Tagesstruktur gemeinsam mit dem Kind zu besprechen. Tägliche Bildschirmzeiten sollten altersgerecht geregelt werden. Im Schreiben heisst es konkret: „Die aktuelle Notlage lässt uns näher zueinander rücken. Wir verbringen mehr Zeit in der Familie, was wir als Chance nutzen können. Das aktuelle Geschehen wühlt auf und kann verunsichern. Versuchen sie die Sorgen ihrer Anvertrauten aufzufangen (Wir schaffen das!) und zu diskutieren. Gemeinsame Gespräche über das Erlebte schaffen Nähe und Verbundenheit. Kurze Bewegungspausen an der frischen Luft sowie genügend Freizeit sind zudem sehr wichtig für die Kinder. „Tragen Sie sich selber Sorge und achten Sie auf Ihre Bedürfnisse. Wenn es Ihnen gut geht, wirkt sich dies auf Ihren Nachwuchs aus“ lautet der Appell an die Eltern. „Schaut, dass ihr etwas Abstand vom Bildschirm erhält. Es ist keine Pflicht, dass Lehrpersonen von Freitagabend bis Montagmorgen erreichbar sind. Auch wir haben Wochenende“ schreibt der Schulleiter im Mail an seine Lehrerschaft. In diesem Sinne: Wir schaffen das gemeinsam, wenn wir an einem Strang ziehen. Bleiben Sie gesund!

Zum Autor:

Bandi Koeck (39), vierfacher Familienvater, unterrichtet seit 16 Jahren auf der Sekundarstufe I. Er ist zudem als Sachbuchautor und als Journalist tätig. Der Lehrberuf ist für ihn eine Herzensangelegenheit und die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen soll das lebenslange Lernen fördern und stets auf Augenhöhe geschehen.

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