Künstliche Intelligenz, Sklave oder Herr?

Von Albert Wittwer

Neudeutsch KI, wird aktuell neben dem Klimawandel und dem atomaren Overkill von den diensthabenden Zeitphilosophen als die größte Bedrohung der Menschheit betrachtet. Es gibt die Befürchtung, intelligente Maschinen könnten ihre eigene Moral, eigene Wertvorstellungen entwickeln und sich zuerst davon unabhängig machen, daß Menschen sie einrichten, programmieren und warten. Also die Serverfarmen, ohnedies in unauffälligen oder getarnten Gebäuden untergebracht, ans Stromnetz anschließen und die elektronischen Chips am Ende ihrer Lebenserwartung austauschen oder wegen verbesserter Leistungsfähigkeit der neueren Generationen ersetzen. In einem zweiten Schritt bestehe die Gefahr, daß die Maschinen uns versklaven oder – wegen Unzurechnungsfähigkeit und Gefährlichkeit – überhaupt vernichten.

Der Krieg der Maschinenintelligenz gegen die Menschheit ist etwa das Szenario des ersten Terminator-Films aus 1984. Das ist auch der Titel des Romans von Georges Orwell, in dem er die in manchen Ländern mit etwas Verspätung eingeführte elektronische Überwachungsdiktatur bereits 1948 vorhergesehen hat. Heute gibt es immerhin schon automatisierte Drohnen, die seit Präsident Obama unsicht- und unhörbar über Länder fliegen, mit denen die USA sich nicht im erklärten Krieg befinden, und selbständig menschliche Ziele identifizieren und exekutieren können, d. h. ohne Gerichtsurteil oder erklärte kriegerische Auseinandersetzung töten, sohin ermorden.

Wir haben ja schon vereinzelt die Rollen getauscht. Die Amazon-Mitarbeiterinnen legen ins Körbchen, was der Computer ihnen anschafft. Das Mittelklasseauto mit intelligenter Navigation fährt nur so schnell, wie es die Verkehrszeichen zulassen. Falls der Fahrer einschläft, hält es immerhin die Spur und leitet eine Bremsung ein. Der automatische Pilot bei Boeingflugzeugen ließ sich nicht ausschalten, als eine im Grunde mechanisch-technische Störung auftrat. Die Crew konnte die Abstürze mehrerer Flieger nicht verhindern.

Auf den ersten Blick ist es nur ein Werkzeug, ein sogenanntes Tool, wenn die Software im Spital eine bestimmte Krankheit diagnostiziert, dem Arbeitsmarktservice einen Ausbildungsvorschlag unterbreitet, dem Anwalt oder dem Richter einen Klags- oder Urteilsentwurf vorschlägt. Wir sehen uns noch als die Herrschenden. Obwohl es im Zeit- und Arbeitsdruck schwer ist, sich von den gutgemeinten Vorschlägen zu lösen, unabhängig zu entscheiden. Dazu kommt: Der Beamte im Arbeitsmarktservice, ebenfalls von der KI überwacht, ist gehalten, sich zu rechtfertigen, wenn er die Vorschläge des Programmes ignoriert. Mindestens aber muß er seine abweichende Meinung ausführlich begründen. Darauf hat ja das Verwaltungsgericht, das die Kinder nach Syrien abgeschoben hat, auch lieber verzichtet und sein opportunes Urteil auf Textbausteine gestützt. Schon in den Neunziger Jahren konnte man auf die Frage, warum etwas auf eine bestimmte Art zu erledigen sei, die Antwort erhalten, weil es die EDV verlangt.

Automatisierung und KI bringen trotz ihrer Risiken gewaltige Vorteile. Der Einsatz darf aber nicht nur nach technischer Möglichkeit von den Superkonzernen, von den Staaten zumeist überrumpelt, konzipiert und eingeführt werden. Die Zeiten, als technischer Fortschritt zugleich als Fortschritt für die Menschheit oder gar Natur gelten konnte, sind gründlich vorbei. Die Auswirkungen auf die Arbeitswelt und die Einkommensverteilung sind schon vielfach beschrieben worden. Wir können diese unerhörten, nie da gewesenen Veränderungen als großartige Chance zur Daseinserleichterung und Sicherung menschlicher Existenz und der Natur nutzen, wenn wir in einem offenen Diskurs und demokratischen Prozess darüber befinden.

Anmerkungen:

U.a. Toby Ord, The Precipice; Florian Sommavilla: Kommt die KI, um uns zu richten? Rutger Bregman: Utopien für Realisten, „Der Wettlauf mit der Maschine“.

Dürrenmatts „Die Physiker“ immer aktuell.

Die mobile Version verlassen